Sonntag, 31. Mai 2020

die offensichliche Gefahr der Entstellung

Fast scheint, was Johannes Kardinal Bona lediglich informationshalber in seinen Rerum liturgicarum duo libri am Ende des fünften Kapitels mitteilte, dem konzilsgeschädigten Deutschkirchler eine warnende Prophezeiung und prophetische Warnung zu sein:

Die Wechselhaftigkeit der menschlichen Angelegenheit bringt es mit sich, dass die Volkssprachen Veränderungen unterworfen sind, entweder weil sie durch den Umgang mit anderen Nationen verdorben werden, oder weil Provinzen in die Oberherrschaft von Ausländern übergehen, welche dort ihre eigenen Gesetze, Sitten und Sprache einführen.

Die alte Sprache der Gallier, welche sie zu benutzen pflegten, bevor jenes Reich als Provinz von den Römern eingezogen wurde, ist gänzlich vernichtet. So gaben auch die Spanier ihre eigene Redeweise auf, als sie der Herrschaft der Römer unterworfen wurden. Dass die alten Franken, die ein Königreich in Gallien errichteten, die germanische Sprache sprachen, zeigt Beatus Rhenanus im zweiten Buch über Germanische Angelegenheiten anhand einer sehr alten Evangeliumshandschrift, welche er, wie er sagt, in Freisingen gesehen hatte; sie war ins Fränkische übersetzt, was dasselbe war wie Deutsch. Die von den Römern unterworfenen nördlichen Regionen lernten auch, Latein zu sprechen; solange bis selbst die lateinische Sprache unterging und aus ihrer Verderbtheit in Italien, Gallien und Spanien die heutigen Volkssprachen entstanden sind.

Dass aber die Religion gegen derartige Veränderungen unerschütterlich bleibe, hat die Rechtgläubige Kirche immer und überall das alte Idiom im Gottesdienst beibehalten, weil Würde und Erhabenheit der heiligen Angelegenheiten es verlangte, dass nichts an ihnen verändert wird, und nichts Irriges oder Unreines in sie einschleiche: was sich leicht ereignet, wenn sie aus der alten Sprache, welche von den Aposteln und apostolischen Vätern überliefert wurde, in eine andere zeitgenössische oder von der ursprünglichen verschiedene übersetzt würde.

Denn wenn die griechische und lateinische Sprache früher nicht bewahrt worden wären, und bis zu uns lebendig erhalten wegen der Notwendigkeit ihres Gebrauchs in den heiligen Verrichtungen, wären uns die Beschlüsse der alten Konzilien, die Verordnungen der alten Päpste, und die gelehrten Schriften der heiligen Väter und anderer, die in Griechisch oder Latein aufgezeichnet sind, schon unnütz geworden, weil wir sie weder lesen noch verstehen könnten, wie wir auch nicht die altertümlichen spanischen Schriftzeichen, die auf Münzen erhalten sind, entziffern oder wissen, was Poenulus zu Plautus sagte, weil die punische Sprache, die sie sprachen, inzwischen unterging. […]

Weil also die Erfahrung lehrte, dass die Volkssprachen sich fast jedes einzelne Jahrhundert verändern, würde, wenn die Messe in lebendigen Sprachen gefeiert würde, sie denselben Veränderungen unterworfen sein, nicht ohne schweren Schaden für die geschuldete Verehrung und mit offensichtlicher Gefahr der Entstellung. […]

Weshalb sehr weise von der Kirche festgelegt wurde, dass in der Sprache, in der die Messe zuerst eingerichtet wurde, sie immer gefeiert werde, wenn sie auch dem Volk unbekannt sei.

[Hervorhebungen durch den Blogautor]

Donnerstag, 28. Mai 2020

Übermittlung erfolgreich

Warum, fragte sich Kardinal Bona zum Beginn seiner „Zwei Bücher über liturgische Angelegenheiten“, heißt die Messe eigentlich so?

Und in einer gründlichen Untersuchung verwirft er zunächst allerhand gängige Herleitungen:

  1. Dass der Name von hebräischen Wort Missah, das in Dtn 16,10 im Zusammenhang mit einem Opfer gebraucht wird, stamme. Dort heißt es: „Und mache das Fest der Wochen für den Herrn, deinen Gott, je nach Freigebigkeit deiner Hand, die gibt, je nachdem wie der Herr dein Gott dich segnet.“ Das Missah („je nach“) würde dann aber (wenn der Name des unblutigen Opfers so alt und hebräisch wäre), argumentiert Bona, doch wohl auch von den Griechen und Syrern, welche die anderen hebräischen Wörter (Amen, Halleluja, Sabaoth, Hosanna, Satan, Sabbat, Pascha …) beibehalten, gebraucht werden, was nicht der Fall ist.
  2. Andere vermuten einen Ursprung im griechichen Myesis (das Einweihen in die Mysterien), welches nachklassisch Myisis gesprochen wurde, aus welchem unter Anpassung der Wortendung an die lateinischen Gewohnheiten das „Missa“ entstanden sein soll. Dies hält Bona für einen seiner gelehrten Kollegen unwürdigen Schnellschuss. Wenn dem so wäre, müsste das Wort doch im Griechisch-Barbarisch-Wörterbuch des Jan van Meurs erwähnt sein, was nicht der Fall ist.
  3. Ein Autor will Missa vom „Messe“ [Warenschau] der nordischen Völker ableiten, weil sich in beiden Fällen viele Menschen versammeln. Es verhält sich aber genau andersrum [wie im nächsten Kapitel ausführlicher dargelegt].
  4. Missa muss nun also eine echt lateinische Vokabel sein. Genauer gesagt eine Verschleifung von „Missio“, wie an Beispielen belegt wird.
    Um welcher Art Missio handelt es sich aber?
    Einige meinen die Beschickung mit Lebensmitteln, welche Reiche zur Agape (Armenspeisung) leisten, die freuermals im Anschluss an das unblutige Opfer stattfand. [Folgen einige historisch interessante Abschweifungen zur Ausgestaltung der Agape-Feiern.] Aber erstens ist die Agape eine von der Messe verschiedene Veranstaltung, zweitens wurden erstere wegen Auswüchsen [Es wurden auch Getränke gereicht.] schließlich eingestellt.
  5. Anderen gefällt es, Missa zu transmissio (Übermittlung) zu stellen, durch welche das Volk durch den Dienst des Priesters Gebete und Opfergaben an Gott übermittelt. Neben vielen anderen wird „Dr. Thomas“ [von Aquin] zitiert mit: „An Ende der Messe entlässt der Diakon das Volk mit den Worten „Ite, Missa est“, nämlich das Opfer an Gott durch den Engel, dass es nämlich von Gott angenommen sei.“ In diesem Zusammenhang würde das „Ite, Missa est“ verstanden als: „Geht, es wurde erfolgreich übermittelt“. Im gleichen Sinn leiten andere ab: Wie Christus zuerst von Gott dem Vater unseres Heiles wegen gesandt wurde, um sich am Kreuz zu opfern, so senden wir aus dem gleichen Grund das Opfer zurück.
    [Also mir gefällt diese Denkweise :-D]
  6. Andere schließlich, deren „Urteil sehr wahr zu sein“ Kardinal Bona „nicht bezweifelt“, verstehen es schließlich als Dimissio (Entlassung) des Volkes, als Erlaubnis, sich wieder den eigenen Angelegenheiten zuzuwenden, nachdem es seiner Sonntagspflicht genügt hat, wie das auch (argumentiert der Erzbischof Avitus von Wien) in weltlichen Pflichtversammlungen gesagt zu werden pflegte. [Belegstellen aus Schriftstellern wie Cicero und Suetonius, die Avitus nicht angab, trägt Bona nach.]
    Die Entlassung war, erinnert Bona weiter, in der alten Kirche doppelt: nach Evangelium/Predigt wurden die Taufbewerber und Büßer nach draußen geschickt (was man die Missio der Katechumenen nannte), nach der Kommunion die Getauften entlassen (was die Missa der Gläubigen hieß).
    Einer der vielen angeführten Belegstellen: im Sakramentenbuch von Gregor dem Großen ist für die Karfreitagsfeier (bei der genau keine Wandlung stattfindet) vorgeschrieben: „Dann kommuniziert er [der Zelebrant] und der gesamte Klerus [die am Gründonnerstag „vorgeheiligten“ Gestalten] und es geschieht die Missa“ – offensichtlich ist die Entlassung der Gläubigen gemeint.
    Oder: in Klöstern wurde am Sonntag im Anschluss an die Konventmesse gleich die für vor dem Mittagessen vorgesehene Hore angeschlossen, was beschrieben wurde als: Sonntags gibt es nur eine Messe (also Entlassung, weil nach der Messe keine erfolgte, sondern erst nach der anschließenden Mittagshore).
    Vergeblich – schließt Bona das erste Kapitel ab – versuchte Genebrard, das Wort „Messe“ auf weniger matte, wenigstens ein bisschen ehrfürchtigere Wurzeln zurückzuführen, denn schließlich lehrt Plato, dass aus dem Namen die Eigenheiten einer Sache abzuleiten seien, so dass – sagt er – es etwas unglücklich ist, dass das Erhabenste Opfer nach seinem geringsten Teil oder Umstand benannt sein soll.
    Aber [sagt Bona mit vielen gelehrten Worten zum Abschluss] so isses nunmal.