Hintergrund
Das lang erwartete Missbrauchsgutachten zu Köln ist erschienen.
Woelki hat die 800+ Seiten nicht gelesen, hat aber auf der Pressekonferenz gleich den Besen rausgekramt und zwei Leute gefeuert, darunter Weihbischof Dominikus Schwaderlapp.
Nun ist gerade der einer der wenigen verbliebenen katholischen Bischöfe in Deutschland, predigt gut und ein sehr sympatischer Kerl. Verbirgt sich hinter dieser Maske ein Vertuscher?
Die Lektüre des Berichts liefert Aufschluß.
Zusammenfassung
Die Auffassungen der Gutachter bieten vielfältig Anlass zu Heiterkeit.
Schwaderlapp wird beispielsweise vorgeworfen, dass er Fälle, bei denen die Unschuld des Beschuldigten herauskam, nicht nach Rom gemeldet hat (denn dort hätte man vielleicht anders entschieden), oder sich an die DBK-Leitlinien gehalten hat (die nach Gutachterauffassung den Normis des Motu proprio Sacramentorum Sanctitatis Tutela widersprechen).
Der Bericht
Allgemein:
Schwaderlapp war von 2004 bis 2012 Generalvikar in Köln. Personalangelegenheiten waren seinerzeit Chefsache, d.h. wurden zwischen dem Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal und dem Erzbischof direkt verhandelt; der Generalvikar war nicht eingebunden. Es gab aber (betonen die Gutachter) kein schriftliches Dekret des Erzbischofs, welches dem Generalvikar verboten hätte, das Handeln des Erzbischofs zu überprüfen oder zu korrigieren.
Der Einwand, der Erzbischof sei der Chef, gelte nicht:
„Letztlich kann aber die Frage, ob hier [zwischen Erzbischof und Generalvikar] ein Über-/Unterordnungsverhältnis vorliegt, dahinstehen, denn dies ändert nichts an der Bewertung, dass beide „Ordinarius“ und deshalb als ein „Gremium“ zu betrachten sind.“ (S. 288)
Diese Einschätzung wird benutzt, um Urteile der (säkularen) Gerichtsbarkeit zur gemeinsamen Verantwortung von mehreren Geschäftsführern in Unternehmen heranzuziehen.
„Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Gutachter bei der Handhabung des Begriffs des Ordinarius eine gleichmäßige Zuständigkeitsverteilung zwischen Generalvikar und Erzbischof zugrunde legen mussten. Während die Zuständigkeit des Erzbischofs darin bestand, entsprechende Dekrete zu erlassen, traf den Generalvikar mindestens die Pflicht, den Erzbischof auf die Erfüllung seiner Rechtspflichten hinzuweisen und auf diese Weise auf ein Tätigwerden seinerseits hinzuwirken.“ (S. 289f.)
Konkreter:
„Aktenvorgang 7“
Es gab Gerüchte, eine Person habe „jungen Damen an den Hintern gefasst“. Es wurde veranlasst, dass ein Dekan mit der betreffende Person spreche. Das „Ausbalancieren von Nähe und Distanz“ sei zur Rede gekommen, aber tatsächliches Fehlverhalten sei nicht fassbar geworden. Später berichtete ein Pfarrer, die Küsterin habe gesehen, die Person solle einen Fuß vor die Sakristeitür gestellt haben, um einer Messdienerin den Durchtritt zu verweigern und sie „begreifen“ zu können. [Ob damit ein tatsächliches Anfassen oder nur die Deutung einer mutmaßlichen Absicht gemeint ist, bleibt unklar.]
In einem Gespräch (mit Beschuldigtem, Pfarrer und Heße) erinnerte sich der Pfarrer, ein Elternteil eines Kindes, das an einer Freizeitveranstaltung, bei der besagte Person anwesend war, teilgenommen hatte, habe gesagt, vor 1-2 Jahren sowas schon mal gehört zu haben. „Der Vorwurf sei aber geklärt und ausgeräumt worden.“
Bei all dem lag keine Meldung von (oder auch nur Namesangabe zu) möglichen Opfern vor.
Aus der „Vernehmung“ Bischof Schwaderlapps durch die Gutachter wird berichtet:
„Es sei nicht so gewesen, dass, wenn sich ein Betroffener nicht selbst gemeldet habe, man der Sache nicht nachgegangen sei. Man habe vielmehr versucht, die Leute dazu zu bewegen, sich zu melden. Dies sei schließlich auch der Sinn der externen Ansprechpersonen gewesen. Er könne sich die Untätigkeit nur so erklären, dass die Hinweise, die vorlagen, zu schwach gewesen seien, um weiterzumachen.“ (S. 388)
Trotzdem: „Die Gutachter sind im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass es Generalvikar Dr. Schwaderlapp pflichtwidrig unterlassen hat, den Meldungen aus 2006 und 2007 nachzugehen und die Vorfälle aufzuklären sowie die Glaubenskongregation in Rom zu informieren. … Eine Pflicht zur Aufklärung der Sachverhalte bestand für Generalvikar Dr. Schwaderlapp insoweit, als er verpflichtet war, eine kirchenrechtliche Voruntersuchung einzuleiten. Voraussetzung für die Durchführung einer Voruntersuchung gem. can. 1717 CIC/1983 ist eine wenigstens wahrscheinliche Kenntnis des Ordinarius davon, dass eine Straftat begangen worden ist.“ (S. 391)
Ich bin kein Anwalt, aber Google lehrt, dass der § 184 i StGB, nach dem „an den Hintern fassen“ eine Straftat ist, erst Ende 2016 eingeführt wurde. (Was den Gutachtern auch klar sein dürfte, denn sie führen aus: „Im Dezember 2018 wurde der Vorgang nachträglich der Staatsanwaltschaft gemeldet. Diese meldete zurück, dass zwar ein Anfangsverdacht bestehe, ‚dass es durch den Beschuldigten im Jahre 2006 oder zuvor zu Handlungen gekommen sein könnte, die nach dem geltenden damaligen Recht als Beleidigung (nach heutigem Recht ggfs. als sexuelle Belästigung) strafbar gewesen sein dürften.’ Gleichwohl wurde wegen eines fehlenden Strafantrags von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.“ (S. 387)
Es lag also höchstens ein mutmaßliches Verdachtsgerücht wegen „Beleidigung“ vor, welches Delikt nur auf Antrag des Opfers verfolgt wird, welcher aber nicht gestellt war.
Demnach werfen die Gutachter Herrn Schwaderlapp vor, nicht schon 10 Jahre vor einer Gesetzesänderung trotz Unzuständigkeit für Personalangelegenheiten und ohne Meldung eines Opfers (allein aus seiner Funktion als „Ordinarius“, der für alles, was im Erzbistum vorkommt, verantwortlich ist) ein Gerüchteuntersuchungsverfahren eingeleitet zu haben.
Hmhm, wahrlich heftiger Vorwurf. Aber die Gutachter haben noch ein As im Ärmel: zu dem vom Pfarrer weitergetragenen Gerücht der Küsterin führen sie aus: „Spätestens zu diesem Zeitpunkt erschien eine Straftat nach Art. 4 SST 2001 zumindest möglich.“ (S. 392)
Ich bin nun auch kein Kirchenrechtler, und die Normae zum Motu Proprio Sacramentorum Sanctitatis Tutela sind nicht veröffentlich. Aber ein mutmaßliches „an den Hintern fassen“ [Wollen], für das sich auch auf Nachfrage kein Opfer findet, scheint mir nicht unbedingt ein „besonders schweres Verbrechen“ (delictum graviore) zu sein.
Die Gutachter beharren: „Eine Meldepflicht bestand gemäß Art. 13 SST 2001 dann, wenn der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine der Glaubenskongregation vorbehaltene Straftat erhielt. Das ‚Anfassen kleiner Messdienerinnen’, also von Mädchen unter 18 Jahren, unterfällt und unterfiel auch zum Tatzeitpunkt den delicta graviora der Normae SST.“
Wenn jeder Bischof jedes Gerücht zu derart schwerwiegenden Straftaten nach Rom melden wollte, hätten die dort ja Lastwagen von Akten --- aber ich will nicht vorgreifen (s.u.)
„Aktenvorgang 10“
Auf die Einzelheiten des Falls (Es gab 5 Tatvorwürfe, die meisten aus der Vorzeit. 2008 hatte der Beschuldigte dann nochmal Jugendliche unter der Dusche fotografiert; 2010 kamen ein Vorwurf aus den 1970er Jahren dazu.) einzugehen erübrigt sich, denn nach Aktenlage und aus der „Vernehmung“ von Herrn Schwaderlapp ist klar:
„Auf den Vorhalt, dass im Protokoll [der Sitzung des Geistlichen Rats vom 10.09.2010] niedergelegt sei, dass der Fall nach Rom gemeldet werde, dies aber ausweislich der Akte nicht erfolgt sei, erklärte Herr Dr. Schwaderlapp, dass dies für ihn rätselhaft sei. Federführend sei bis zum Ende des Verfahrens der Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal gewesen. Hinsichtlich der Meldung an die Glaubenskongregation gehe er jedoch davon aus, dass dies in Zusammenarbeit mit dem Offizial geschehen sei. … Gemäß den Verfahrensrichtlinien sei es so gewesen, dass das Verfahren vom Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal bearbeitet worden sei und deshalb sei der Fall gar nicht mehr zu ihm, Herrn Dr. Schwaderlapp, gekommen.“ (S. 415)
Die Gutachter schließen: „Als Adressaten der Meldepflicht waren Erzbischof Dr. Meisner und Generalvikar Dr. Schwaderlapp für die Umsetzung der Entscheidung verantwortlich, denen insoweit die Verletzung der Meldepflicht vorzuwerfen ist.“ (S. 420)
Es ist nicht unüblich, dass der Chef den Kopf für die Fehler seiner Mitarbeiter hinhalten muss, und da der Kardinal verstorben ist, muss (wie ganz am Anfang gesagt) halt der Generalvikar in Mithaftung genommen werden. Das mag formal korrekt sein, aber wenn 1) es eine Aufgabenverteilung gibt, und der Generalvikar für die Chefsache Personalangelegenheiten unzuständig ist, 2) laut Verfahrensrichtlinie der Generalvikar an der Meldung nicht beteiligt ist und 3) es um einen fast 40 Jahre zurückliegenden Vorwurf geht… scheint mir die Meldungsunterlassung Herrn Schwaderlapp anlasten zu wollen nicht super-gerecht zu sein, denn „schließlich wurden [schon 2008] Maßnahmen gegen den Beschuldigten ergriffen (Entpflichtung und Versetzung in Ruhestand)“ (S. 419), was heißt, es gab da gar nichts mehr zu schützen oder zu vermeiden oder zu bestrafen.
„Aktenvorgang 13“
Ein Priester hatte sich in den 1960-90er Jahren massiv mit minderjährigen Jungen eingelassen, war im Gefängnis, in psychiatrischer Behandlung und 2002 (also Jahre vor Schwaderlapps Amtsantritt) in den Ruhestand versetzt worden und danach im Bistum Essen wohnhaft.
2008 gab es neue Vorwürfe zu Taten aus den 1960er Jahren. Der Betroffene bat um Auskunft, ob die Vorwürfe schon bekannt seien. Schwaderlapp leitete die Anfrage zur Bearbeitung an die zuständige Hauptabteilung Seelsorge-Personal weiter. Der Betroffene bekam Auskunft.
Die Gutachter werfen Herrn Schwaderlapp vor, er hätte die verjährten, bis zu 44 Jahre alten Vorwürfe gegen den bereits bestraften und in den Ruhestand versetzten Beschuldigten untersuchen und an die Glaubenkongregation melden müssen, weil diese ab 2010 (also zwei Jahre später) die Möglichkeit erhalten werde, die Verjährung zu „derogieren“ und den Fall trotzdem zu untersuchen.
Wie im ersten Fall hatte Herr Schwaderlapp also seine Glaskugel nicht geputzt, zukünftige Gesetzesänderungen nicht berücksichtigt und (weil es dem Betroffenen offensichtlich in erster Linie darum gegangen war) stattdessen für eine Antwort auf dessen Frage gesorgt.
Außerdem hat er laut Gutachten „verkannt, dass grundsätzlich jede bisher unbekannte und noch nicht abgeurteilte Tat ein ‚neuer Fall’ ist, der die Pflicht zur Einleitung einer Voruntersuchung und zur Meldung an die Glaubenskongregation wieder neu auslöst und das Sanktionsbedürfnis erhöht.“
Da der Schuldige schon ruhig gestellt und der Betroffene an weiterer Aufklärung der Sache nicht interessiert war, reduziert sich das gutachterliche „Sanktionsbedürfnis“ irgendwie auf Rachegelüste. Das hatte Schwaderlapp nicht befriedigt – eine schwere Verfehlung also, irgendwie. Oder genauer gesagt zwei: „jeweils ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht und die Meldepflicht“ (S. 460)
„Aktenvorgang 20“
Hier laufen die Gutachter m.E. zur Spitzenlächerlichkeit auf. Der Fall: zwei Töchter eines pensionierten ständigen Diakons (der keinerlei Dienste mehr ausübt) treten 2008 auf und beschuldigen ihren Vater, sie in den 1970er Jahren durch „Zungenküsse“ missbraucht zu haben, wie ihnen 1995 im Rahmen einer Psychotherapie eingefallen ist.
Zwei weitere Geschwister bezeugen dagegen, dass der Vater gar keine Gelegenheit zu Missbrauch gehabt hätten, da 1) dies bei den beengten Wohnverhältnissen nicht ohne Kenntnis der Geschwister hätte geschehen können, 2) stets die Mutter oder andere Verwandte die Kinder betreut und der Vater nie mit ihnen allein gewesen sei. Auch der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe, weist aber darauf hin, dass diese nach einer die Familienbande zerrüttenden Erbschaftsauseinandersetzung schon mal vorgebracht wurden.
Nach vielen weiteren Gesprächen in unterschiedlicher Zusammensetzung und Recherchen zu „false memory“ beschließen Schwaderlapp und Heße, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen, da „sich die Vorwürfe als nicht plausibel herausgestellt“ hätten und es sich wohl „um ein rein innerfamiliäres Problem gehandelt habe“ (S. 555).
Man hätte, sagt Schwaderlapp noch, nach heutiger Sicht ein Glaubwürdigkeitsgutachten einholen sollen. „Eine Meldung an die Glaubenskongregation sei jedenfalls nicht erfolgt, weil Voraussetzung dafür nach seinem [Schwaderlapps] Verständnis ‚ein wenigstens wahrscheinlicher Fall’ gewesen sei. Sie [Schwaderlapp und Heße] hätten den Fall jedoch nicht für wahrscheinlich gehalten.“ (S. 555)
So einfach, so klar.
Aber: Die Gutachter schließen, Schwaderlapp habe „pflichtwidrig unterlassen, die Glaubenskongregation in Rom über den Sachverhalt aus den 1970er-Jahren, der im Jahr 2008 zur Anzeige gebracht wurde, in Kenntnis zu setzen.“ Denn: „Auch wenn es vorliegend sich widersprechende Zeugenaussagen gab, so war die Durchführung eines Strafverfahrens nicht von vornherein ausgeschlossen.“ (S. 556)
Man hätte gedacht, dass unplausible, durch Zeugenaussage widerlegte, auf in einer Psychotherapie erzeugte false memory gegründete Beschuldigungen nicht wahrscheinlich seien. Aber die Gutachter: „Vor dem Hintergrund, dass eine Tatbegehung nur möglich sein muss, um eine ‚wenigstens wahrscheinliche Nachricht’ zu begründen, war diese rechtliche Einordnung unrichtig.“
[Ich halte es für möglich, dass den Gutachtern jemand ins Gehirn geschissen hat. Wohin kann ich das melden?]
Zwar legen die Leitlinien der DBK von 2002 fest, „dass nur
bei einem erhärteten Verdacht eine
kirchenrechtliche Voruntersuchung einzuleiten sei“ und „dass nur bei einem bestätigten Verdacht der Apostolische
Stuhl befasst werden solle.“ Aber die Gutachter halten dies für eine falsche
Interpretation der Meldepflicht „gemäß Art. 13 SST 2001“, und bei den Leitlinien „handelt es sich nicht um höherrangiges Recht; sie waren nicht geeignet, die objektiv bestehende Meldepflicht zu beseitigen.“ (S. 557).
Ich gebe zwar gerne zu, dass wer sich auf die DBK verlässt auf Sand gebaut hat, halte es aber auch nicht für unwahrscheinlich, dass die Gutachter ihrerseits bei der Deutung der viel zitierten, aber nicht veröffentlichten Normarum SST heftig danebengegriffen haben.
Der Vorwurf, der Schwaderlapp gemacht wird, wäre also: einen nicht-existierenden „Missbrauch“ nach den Leitlinien der DBK behandelt zu haben. Der schlimme Schlingel!
„Aktenvorgang 21“
In einem weiteren Fall, bei dem Beschuldigter und weitere Zeugen dem Betroffenen widersprachen, wurde nun aber ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt, dass nicht sicher unterscheiden konnte, ob der Betroffene dreist lügt oder sich die Sache nur ausgedacht hatte. Trotzdem wurde jahrelang untersucht; dennoch konnte der vorgeworfene Sachverhalt nicht verifiziert werden. Auch weltliche Behörden kamen zu diesem Schluß. Daher schließlich: „Am 25.11.2011 war der Fall des Beschuldigten Thema in der Personalkonferenz, an der unter anderem Erzbischof Dr. Meisner und Generalvikar Dr. Schwaderlapp teilnahmen. In Bezug auf den Beschuldigten wurde dabei Folgendes festgehalten: ‚Aktuelle Vorwürfe gegen den Pfarrer konnten entkräftet werden’“ (S. 565)
2017 wurde der Fall erneut untersucht. „Die stellvertretende Interventionsbeauftragte kam nach Prüfung zu dem Schluss, dass der Missbrauchsvorwurf seinerzeit sehr gewissenhaft untersucht worden sei. Diese Wahrnehmung wurde von einem externen Rechtsanwalt bestätigt. Gleichwohl wurden die Akten zur Absicherung an einen weiteren Rechtsanwalt übersandt. Dieser kam im Mai 2017 zu dem Ergebnis, dass aufgrund der langen Verfahrensdauer, der unergiebigen Zeugenaussagen, die zumindest einen Missbrauch nicht bestätigten (außer der Aussage des Betroffenen selbst), und der widersprüchlichen Angaben des Betroffenen ein neuerliches Verfahren nicht in Betracht gezogen werden sollte.“ (S. 565 f.)
Alles klar eigentlich, oder? Für die Gutachter auch: „Erzbischof Dr. Meisner und Generalvikar Dr. Schwaderlapp haben pflichtwidrig gehandelt, als sie es unterließen, den Sachverhalt an die Glaubenskongregation in Rom zu melden.“
Wie jetzt? Folgendermaßen: „Jedenfalls aber befreite auch das negative Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen aufgrund der Unabhängigkeit des kirchlichen vom weltlichen (Ermittlungs-) Verfahren nicht von der Einleitung einer Voruntersuchung und der nachfolgenden Meldung an die Glaubenskongregation nach Art. 13 SST 2001.“ (S. 567)
Merke: wer einen mehr oder weniger erwiesenermaßen Unschuldigen nicht nach Rom meldet, ist schuldig. Denn: „Zwar ergaben die Aussagen der Zeugen kein eindeutiges Bild und eine erneute Prüfung im Jahr 2017 ergab, dass die Vorwürfe wenig belastbar waren. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass die Glaubenskongregation zu einer anderen Bewertung gelangt wäre und die Durchführung eines Strafverfahrens angeordnet hätte.“ (S. 568)
Und insbesondere ist Schwaderlapp schuldig, weil Meisner (als Zuständiger zwar keine Meldung vorzunehmen entschied, aber) ihm auch nicht ausdrücklich schriftlich verboten hat, selbst eine Meldung vorzunehmen: „Ausweislich des Protokolls der Personalkonferenz vom 25.11.2011 informierte der Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal Dr. Heße darüber, dass die Vorwürfe gegen den Beschuldigten entkräftet werden konnten. Erzbischof Dr. Meisner und Generalvikar Dr. Schwaderlapp hatten mithin Kenntnis vom Abschluss der Ermittlungen. Eine ausdrückliche Entscheidung des Erzbischofs gegen eine Meldung an die Glaubenskongregation ist nicht dokumentiert, sodass der Generalvikar jedenfalls die Möglichkeit gehabt hätte, auf ein pflichtgemäßes Verhalten hinzuwirken.“ (S. 568)
Alter, als ich seinerzeit meinen Chef auf die Möglichkeit eines pflichtgemäßen Verhaltens hingewiesen habe, bin ich kurz darauf hochkant geflogen, obwohl auch er seine Entscheidung, anders zu handeln, nicht dokumentiert hatte. Knallharte Realisten, diese Gutachter, zumal sie wieder darauf hinweisen, dass in vollständiger Übereinstimmung mit den DBK-Leitlinien gehandelt wurden.
Die Lacher nochmal zusammengefasst: „Angesichts dieser anwaltlichen Auskünfte durfte aus Sicht der Verantwortungsträger die Einleitung einer kanonischen Voruntersuchung gänzlich überflüssig und eine Meldung nach Rom entbehrlich erscheinen, auch wenn dies – jedenfalls im Hinblick auf die Meldepflicht – nicht der Fall war.“
Die anwaltlichen Auskünfte, der gesunde Menschenverstand, die DBK-Leitlinien und die „Sicht der Verantwortungsträger“ einerseits, die (ziemlich wackelige) Deutung von SST durch die Gutachter andererseits – erlaubt nur ein Fazit: „In Aktenvorgang 21 gelangten die Gutachter zu dem Ergebnis, dass sowohl Erzbischof Dr. Meisner als auch Generalvikar Dr. Schwaderlapp ein Verstoß gegen die Meldepflicht vorzuwerfen ist.“ (S. 570)
„Aktenvorgang 22“
„Im Juni 2010 erstattete die Betroffene A Anzeige wegen Missbrauchs durch ihren Onkel, Kleriker, in den 1990er-Jahren.“ (S. 570)
„Innerhalb der Familie sei jedenfalls nach Ende der Vorfälle darüber gesprochen worden, allerdings wollte man die Großmutter nicht mit einem solchen Thema belasten und den Ruf der Familie nicht schädigen. Aus diesem Grunde sei eine Anzeige bislang unterblieben.“ (S. 571)
„Mit Schreiben vom 13.09.2010 wandten sich die Betroffenen schriftlich an die Polizei und nahmen darin die Anzeige gegen den Beschuldigten zurück und machten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.“ (S. 572)
„Im Oktober 2010 wurde das Generalvikariat durch ein anonymes Schreiben über das Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt.“ (S. 572)
„Am 15.04.2011 fand aus Anlass der Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens ein erneutes Gespräch … statt. Gegenstand des Gesprächs war … u. a. eine Mitteilung von Herrn Dr. Heße, dass dem Erzbistum die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft vorliege und dass nun unabhängig vom staatlichen Verfahren geprüft werden müsse, ob auf dieser Grundlage die Eröffnung einer kirchlichen Voruntersuchung angezeigt sei.“ (S. 574)
„Offizial Dr. Assenmacher äußerte … Bedenken, ob im
konkreten Fall überhaupt eine ‚Anzeige’ im Sinne des Rundschreibens der
Glaubenskongregation vorliege, da ja die Anzeige zurückgezogen worden sei. Es
stelle sich die Frage, ob man sich ‚mit Blick auf das bonum commune über den
Willen der Aussagenden hinwegsetzen’ dürfe/müsse.
Am 01.06.2011 teilte Rechtsanwältin L. der Justitiarin mit, dass sich ihre
Mandantin, die Betroffene A, nicht in der Lage sehe, an einem Strafverfahren
mitzuwirken.“ (S. 575)
Also: keine Anzeige, keine Aussage, keine Information, kein Verfahren. Soweit klar.
Bischof Schwaderlapp wurde befragt und sagte: „Da man keine Aussage hatte, sei auch keine Substanz da gewesen, um den Fall an die Glaubenskongregation zu schicken. … Bei der Anhörung des Beschuldigten sei er nicht zugegen gewesen. Ihm sei lediglich … mitgeteilt worden, dass es ein schwieriges Gespräch gewesen sei, da der Beschuldigte das Verhalten abgestritten … habe.“ (S. 576)
Glasklar schließen also die Gutachter: „Für Erzbischof Dr. Meisner und Generalvikar Dr. Schwaderlapp hätte nach Bekanntwerden der Vorwürfe die Pflicht bestanden, eine Voruntersuchung gemäß can. 1717 CIC/1983 einzuleiten.“ (S. 588)
„Allerdings bestanden Unsicherheiten, wie sich die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht durch die Betroffenen* im staatlichen Verfahren bzw. die Aussage einer der Betroffenen*, aktuell nicht für eine weitere Vernehmung zur Verfügung zu stehen, auf die Pflicht zur Einleitung einer Voruntersuchung auswirkte.“ (S. 589)
„Die Entscheidung, keine Voruntersuchung einzuleiten, war
jedoch unrichtig. Eine Voruntersuchung muss zwar dann nicht durchgeführt
werden, wenn sie „gänzlich überflüssig“ erscheint, etwa, weil keinerlei Zeugen
zur Erhärtung des Tatverdachts zur Verfügung stehen. Diese Situation war jedoch
vorliegend nicht gegeben:
Zwar erklärte eine der drei Betroffenen* ausdrücklich ihre fehlende
Bereitschaft zur Beteiligung an einem kirchlichen Verfahren, von den anderen
beiden Betroffenen* ist eine solche ausdrückliche Weigerung jedoch nicht
dokumentiert.
Darüber hinaus wusste eine Vielzahl von Verwandten sowie Freundinnen der
Betroffenen* von dem Sachverhalt; diese hätten als ‚Zeugen vom Hörensagen’ im
Rahmen einer Voruntersuchung vernommen werden können.“ (S. 589)
Klartext: Die Betroffene, welche ihre Anzeige bei der
weltlichen Justiz zurückgezogen hatte und keine Aussage im kirchlichen
Verfahren machen wollte, hatte ja noch zwei Schwestern, die man fragen könnte,
ob sie nicht auch Missbrauchserinnerungen haben.
Oder was ist mit Gerüchten? Hat denn die Betroffene, die nicht wollte, dass der
Fall untersucht wird, niemandem davon erzählt – das wären doch (für die
Gutachter) auch prima „Zeugen“.
Da will ich mal kurz wiedergeben, was laut Wikipedia im deutschen Strafprozess
gilt: „Wenn Zeugen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, ist es dem
Gericht untersagt, die unzulässige Vernehmung durch den Rückgriff auf
Niederschriften zu ersetzen oder Zeugen vom Hörensagen über entsprechende
Aussagen zu befragen.“
Gälte das auch für kirchliche Verfahren, dürfte weder die vor der weltlichen
Behörde gemachte (und zurückgezogene) Aussage berücksichtigt noch die von den
Gutachtern gewünschten Gerüchteverbreiter gehört werden. Aber was schert
dergleichen Kleinkram (wie: es gibt exakt Null Material und die Betroffene
wünscht keine Untersuchung) den Gutachter, wenn er einen Schuldigen
präsentieren will?
Weiter: „Darüber hinaus ist es pflichtwidrig unterblieben, die Glaubenskongregation in Rom über den Sachverhalt zu unterrichten.“ Auch das wird Schwaderlapp angelastet, obwohl die Gutachter feststellen, dass der Offizial dies so empfohlen hat und der Erzbischof ihm gefolgt ist.
Der Offizial sagte dazu übrigens aus: „Die Justitiarin habe gefragt: „Müssen wir das nicht nach Rom schicken?“ … Er habe gefragt: „Was wollen wir denn nach Rom schicken, was haben wir denn?“ … Er wisse selbst von Rom, dass die Bischöfe, aus Angst einen Fehler zu machen, Lastwagen voller Akten nach Rom schickten, und in Rom würde die Kongregation überhaupt nicht mehr hinterherkommen. Er sei daher der Auffassung gewesen, dass man eine Sache nur nach Rom schicken müsse, wenn sie auch ein Fundament habe.“ (S. 585)
Die Gutachter legen die Gegenfrage „Was wollen wir denn schicken?“ übrigens als juristischen Expertenrat aus, weshalb diesmal für die anderen, die sich auf diesen Rat verließen, ein halbes Auge zugedrückt wird.
Ergebnis:
„Hinsichtlich Generalvikar Dr. Schwaderlapp (Amtszeit: 01.06.2004 – 16.03.2012) konnten die Gutachter insgesamt acht Pflichtverletzungen feststellen, die sich auf fünf verschiedene Aktenvorgänge bezogen. Hierbei handelte es sich um zwei Verstöße gegen die Aufklärungspflicht und sechs Verstöße gegen die Meldepflicht.“ (S. 716)
Allerdings sagen die Gutachter selbst:
„Zugute zu halten ist Generalvikar Dr. Schwaderlapp, dass die Rechtslage,
insbesondere hinsichtlich der Meldepflicht an die Glaubenskongregation in Rom,
teilweise unklar war und eine Stelle, die verlässlich Rechtsauskunft in den
einschlägigen kirchenrechtlichen Fragen erteilt oder sonst auf die sich aus den
kanonischen Vorschriften ergebenden Pflichten hingewiesen hätte, nicht
existierte.“ (S. 716)
also wie oben mehrfach gesehen: er hat sich an die DBK-Leitlinien gehalten, und
das soll jetzt falsch gewesen sein.
und: „Darüber hinaus war er zwar als Generalvikar wie auch der Diözesanbischof
Ordinarius, hatte jedoch innerhalb des Verhältnisses zum Erzbischof eine klar
untergeordnete Position inne und hätte Dekrete nur im Einvernehmen mit dem
Erzbischof hätte erlassen können.“ (S. 717)
also wie eingangs schon gesehen: Schwaderlapp war nicht für Personalfragen
zuständig, und die Dinge, die schiefgelaufen sind, kamen gemäß
Organisationsplan sowieso nicht auf seinen Schreibtisch - aber irgendwer muss
ja schuld sein.
Mein Fazit:
- Wenn Schwaderlapp was falsch gemacht hat, ist das so mikroskopisch, dass kein Hahn danach krähen sollte.
- Warum er sich reumütig gibt und seinen Rücktritt anbietet, kann ich sachlich nicht nachvollziehen.
- Falls er wegen Synodalem Weg und Zeug keinen Bock mehr auf den Laden hat, sowieso hinschmeißen wollte und zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, indem er als Bischofsopfer fungiert, versteh ich das zwar menschlich irgendwie, halte es aber trotzdem für falsch.