Selbst offensichtliche Dinge geraten zuweilen in Vergessenheit. Wie praktisch, dass Leo Tolstoi sie in "Die Kosaken" einmal ganz einfach hingeschrieben hat:
Und er erinnerte sich seines früheren Lebens und empfand einen Widerwillen gegen sich selbst. Er erschien sich selbst als ein so anspruchsvoller Egoist, während doch in Wirklichkeit alle seine Bedürfnisse und Ansprüche gar nicht in seiner Natur begründet waren. Er schaute rings um sich nach dem durchleuchteten Grün, nach der sinkenden Sonne und dem strahlenden Himmel und fühlte sich so glücklich wie nur je zuvor. Warum bin ich glücklich, und welchen Zweck, welches Ziel hatte mein früheres Leben? dachte er. Wie selbstsüchtig war ich doch früher, auf was für Einfalle geriet ich, ohne dadurch etwas anderes zu erreichen als Demütigung und Schmerz! Und nun brauche ich nichts, rein gar nichts, um glücklich zu sein!
Und es war ihm, als ob er plötzlich alles in ganz neuem Licht sähe. Das Glück, dachte er bei sich selbst, besteht darin, daß man für andere lebt. Das ist doch klar! Das Bedürfnis nach Glück ist in den Menschen hineingelegt, also ist es berechtigt. Sucht man dieses Bedürfnis auf selbstische Weise zu befriedigen, strebt man nach Reichtum, Ruhm, Wohlleben, Liebe, dann kann es geschehen, daß äußere Umstände es unmöglich machen, diesem Streben genugzutun. Mithin sind eben diese Wünsche und Bestrebungen unberechtigt, nicht aber das Bedürfnis nach Glück. Welche Wünsche und Bedürfnisse können nun zu jeder Zeit, ohne alle Rücksicht auf äußere Umstände befriedigt werden? Nun denn: das Bedürfnis nach Liebe zu den anderen, nach Selbstverleugnung!
Er war so glücklich, so freudig erregt über die Entdeckung dieser, wie er meinte, funkelnagelneuen Wahrheit, daß er aufsprang und ungeduldig zu überlegen begann, für wen er sich so rasch wie möglich opfern, wem er Gutes tun, wen er lieben könnte. Er brauchte so wenig für sich selbst — warum sollte er da nicht für andere leben?
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