Freitag, 2. Oktober 2015

Lebenspraxis nicht übergehen

In einem Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung zur bevorstehenden Synode heißt es:
Kardinal Burke repräsentiert diejenigen, die davon ausgehen, dass die Kirche quasi per göttliche Offenbarung über die Wahrheit in Ehe- und Familienfragen verfügt. Diese Lehre ist dann Grundlage für die Praxis. Andere wie Kasper, der rund zehn Jahre Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart war, nehmen die Erfahrungen von Menschen in den Blick, die sich als Ehepartner und Eltern um ein Leben im Glauben bemühen. Hier ist der Weg umgekehrt, von der Praxis zu einer Lehre, in der sich auch diese Erfahrungen niederschlagen. Genährt wird diese Haltung von der Überzeugung, dass die Kirche die Lebenspraxis ihrer Mitglieder nicht einfach übergehen kann.
Unter Vernachlässigung der Frage, inwieweit „quasi per göttliche Offenbarung“ vermittelte Wahrheit für die Kirche eine Rolle spielt, kurz ein Blick darauf, wie Jesus die Lebenspraxis des Apostelkollegiums „nicht einfach übergeht“:

Joh 6:
7 Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll.
8 Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu ihm:
9 Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele!
10 Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen!
Das „Ideal“, die vielen Hungrigen, die Jesus folgen, zu nähren, scheint an der Lebenswirklichkeit der Jünger zu scheitern. Genauso scheitert halt das „Ideal“ der Unauflöslichkeit der Ehe an der Lebenspraxis der Kirchenmitglieder. Und wie Jesus damals nach dem Rat der Apostel die Leute weggeschickt hat, damit sie sich was zu essen kaufen (Mt 14,15), sollte die Synode das Konzept von Ehe erweitern, damit die Kirchenmitglieder sich unbelasteter wiederverheiraten können. Schon klar.

Überhaupt ist die Offenheit Jesu für eine Praxis unabhängig von der „quasi per göttliche Offenbarung“ vermittelten Lehre gut dokumentiert, z.B.
Lk 9,55 Da wandte er sich um und wies sie zurecht.
Mt 16,23 Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Lk 22,38 Da sagten sie: Herr, hier sind zwei Schwerter. Er erwiderte: Genug davon!
Hier mal ein Hinweis an die Anpasser zur angemessene Reaktion auf eigene Lebenspraxis unter dem Blick Jesu:
Lk 22,62 Und er ging hinaus und weinte bitterlich.

6 Kommentare:

  1. Hier lebt ein wunderbarer Mensch endlich nach seinem Ideal:

    http://www.queer.de/detail.php?article_id=24740

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  2. Erstaunlich, dass der Monsignore nur Eduard liebt, statt alle und jeden, wie es das christliche Gebot vorschreibt.
    Ein zölibatärer Homosexueller kann doch ein gutes Beispiel für den Umgang mit der eigenen Disposition sein - oder übersehe ich da etwas?

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  3. Das Christentum ist die Kategorie des Einzelnen. Ich wende mich dem einzelnen Menschen zu, nicht allen und jeden, auch nicht Hinz und Kunz.

    Übrigens erscheint es mir als schlechter und unfairer Stil, das Thema gleich im ersten Satz auf einen Nebenkriegsschauplatz zu lenken, nämlich auf einen Sandkastenstreit zu, ob er tatsächlich ausgedrückt hat, "nur" Eduard zu lieben. Aber so oder ähnlich läuft das dann meistens ab, um nicht zum Thema zu kommen.
    Wie dieser Mensch jahrelang mit seiner Angst vor Dünkel und Bigotterie gerungen haben muß! Und wie wunderbar, daß er offen und klar zu seiner Liebe steht, auch im Hinblick auf die leidenden Eingeschüchterten, deren persönlich erlebte Qualen wohl kaum zu ermessen sind: Ihnen macht er Mut, zu sich selbst zu finden.
    Hoffentlich geschieht eine Kettenreaktion.

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  4. Na, das Thema, das Sie meinen, ist möglicherweise der implizierte Bruch des Zölibatsversprechens und die erhoffte Kettenreaktion die unmittelbare Entfernung aus dem priesterlichen Dienst.
    Das ist aber so offensichtlich, dass es nicht ins Wort gehoben zu werden braucht.

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  5. Ich gestehe jedem seinen Zugang zum transzendent gesetzten Ideal der absolut liebenden Gegenüberhaftigkeit als solcher zu, auch Ihnen, und auch dem schwulen Priester. Bei ihm öffnet sich dieser Zugang offenbar in der Liebe zu seinem geliebten Mann.
    Bei mir würde das so nie geschehen. Bei mir öffnet sich dieser Zugang etwa im liebevollen Blick und dem zärtlichen Streicheln von Katrin, dann auch in meiner inneren Kontemplation in der Ausrichtung meiner tiefsten Sehnsüchte, jene nach dem bedingungslosen Geliebtwerden, auf das personal erlebte Ideal ihrer Erfüllung im zeitlosen Absoluten.
    In diesen Momenten, die die Ewigkeit sind, werde ich vom Trockennasenaffe zum Menschen, daraus schöpfe ich meine Menschlichkeit und mein Mitgefühl mit den anderen fühlenden Wesen.
    Nur die Menschwerdung ist interessant.
    Wie werden Sie zum Menschen?


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  6. Lieben soll zwar einer veralteten Ansicht nach etymologisch ursprünglich streicheln bedeuten (http://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00009132_7_1_1396), ist aber gerade nicht das, was Menschen von Affen unterscheidet (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=6n27GaeUBjk).
    Menschlich ist im Gegenteil das selbstlose Verschenken von Liebe ohne die Hintergedanken des Selbstgeliebt werden wollen (weil der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, Ihm ähnlich), wodurch wir befähigt werden durch die Liebe Gottes, die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.
    Zur Illustration empfehle ich die Lektüre von Joh 4,1-26: der Frau, die fünf Männer hatte und mit einem weiteren zusammenlebt, die also immer wieder zum Brunnen kommt und doch durstig bleibt, bietet Jesus das Wasser an, das in einem zur sprudelnden Quelle wird, deren Wasser ewiges Leben schenkt.

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