Donnerstag, 28. Januar 2016

Bindungsunsichere Seelsorger?

Der Kreuzknappe weist auf einen Artikel des umstrittenen Björn Odendahl auf einem von der DBK finanzierten, aber inhaltlich völlig unabhängigen Portal, bei dem eine Facette der vorjährigen Seelsorger-Studie, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, sonst aber wenig wahrgenommen wurde, hervorgehoben wird, hin.

83 Seelsorger, darunter 47 Priester, wurden „strukturiert biographisch“ befragt; die Antworten basierend auf der Bindungstheorie ausgewertet.

Die Bindungstheorie entspross der Psychoanalyse. Viele würden schon an dieser Stelle meinen, es handele sich also weniger um Wissenschaft als um Esoterik – aber mal weiter.

Das Bindungsverhalten von Kindern wird dabei anhand ihrer Reaktionen in einer unbekannten Umgebung, wenn die Mutter rausgeht und wiederkommt, in vier Typen eingeteilt.
  • „Sichere Bindung“: die Kinder spielen, wenn die Mutter da ist, weinen, wenn sie rausgeht, lassen sich von Fremden nicht trösten und suchen, wenn die Mutter wiederkommt, deren Nähe („check back“)
  • „Unsicher-distanziert Bindung“: die Kinder spielen durchgehend, auch wenn die Mutter rausgeht und wiederkommt
  • „Unsicher-ambivalente Bindung“: die Kinder klammern, haben Angst vor Fremden, sind endgestresst, wenn die Mutter rausgeht, und lassen sich auch kaum trösten, wenn sie wiederkommt.
  • „Desorganisiert/desorientierte Bindung“: Verhalten passt in keins der 3 ursprünglichen Schemata.
Die Studie von 1978, mit der das Konzept (mit 3 Typen) eingeführt wurde und bei der weiße US-amerikanische Mittelklassekinder untersucht wurden, zeigte eine Aufteilung von 70% sicher, 20% unsicher-vermeidend, 10% unsicher-ambivalent. (Diese – wie auch die folgenden nicht gekennzeichneten Angaben stammen aus der Einleitung einer einschlägigen Doktorarbeit, in der man die detaillierten Quellenangaben finden kann).

Zahlen dieser Art verwendet auch die Seelsorger-Studie.

Allerdings hängen die Anteile stark von Kultur und Alter ab. Beispielsweise fand man in Norddeutschland viel mehr unsicher-distanzierte Kinder als in Amerika (nicht aber in Süddeutschland). Insbesondere zeigten die Kinder weniger „check backs“, was so gedeutet wurde, dass die Kinder mit ihrem Alleinsein gut zurechtkamen und deshalb der Rückkehr der Mutter weniger Beachtung schenkten. Das liege, argumentierte man, wohl eher an einem anderen Selbstständigkeitsverständnis in Deutschland, weniger an einer Vernachlässigung durch die Mütter.

Auf solche kulturellen Hintergründe geht die Seelsorger-Studie gar nicht ein.

An Erwachsenen bewertet man das (frühere kindliche) Bindungsverhalten, indem man ihnen acht Umrißzeichnungen von Beziehungssituationen zeigt und sie erzählen lässt („The Adult Attachment Projective Picture System“)

Mit diesem Instrument kommt die Studie zum Ergebnis:
Die Befunde weisen auf einen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhten Anteil unsicherer Bindungsrepräsentanzen und damit verbundener psychosomatischer Belastung hin, vor allem in den Geburtsjahrgängen 1933 bis 1945.
Meine Interpretation wäre: im Krieg mussten die Kinder selbständiger sein als in den fetten Jahren der Bundesrepublik (etwa so, wie das 2005 noch in Norddeutschland war), weshalb bei den alten Seelsorgern andere Bindungstypen dominieren als in der „Allgemeinbevölkerung“, die etliches süddeutsches Jungvolk enthält. Die korrekte Vergleichgruppe wäre eher gleichaltrige Personen in anderen Berufen.

Die von den Autoren selbst gezogenen Schlussfolgerungen interessieren mich daher wenig, denn ex falso quodlibet. Aber wie heißt es in Akademikerkreisen: Wer schreibt, der bleibt.




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