Sonntag, 8. September 2019

dein Größersein in aufrichtiger Ergebenheit geziemend verehren

Über das Kirchenlatein wird gesagt:
Weil das Lateinische für viele, die es verwendeten, nur eine Zweitsprache und Schriftsprache war, wurde es gegenüber dem klassischen Latein vereinfacht. Das aus diesen Bedürfnissen entstehende sogenannte Kirchenlatein lehnt sich an die nüchterne, einfache Sprache Cäsars an.
und
Das Kirchenlatein ist die im Kontext der abendländischen Kirche entwickelte, ... mit Neologismen angereicherte Form des Lateins, das nach 500 entstand.
woraus wir entnehmen, dass es eben nicht so wie das Volk (dessen Latein zu den romanischen Nachfolgesprachen degenerierte) sprach war, oder eine gehobene Schriftsprache oder Kindergartengeplapper, welche die Ziele bei der DM-Übersetzung gewesen zu sein scheinen, und dass für besondere Bedürfnisse besondere Wörter neu geschaffen wurden.
Während es mir wünschenswert scheint, ein Missale in Kirchendeutsch mit der gleichen nüchternen Sprache eines Cäsars zu besitzen, schauen wir, was tatsächlich die heilige Mutter Kirche am 23. Sonntag im Jahreskreis betet :

Tagesgebet
Deus, per quem nobis et redémptio venit et præstátur adóptio, fílios dilectiónis tuæ benígnus inténde, ut in Christo credéntibus et vera tribuátur libértas, et heréditas ætérna.
Übersetzung
Gott, durch den uns sowohl die Erlösung zuteil als auch die Kindschaft verliehen wird: den Kinder deiner Liebe widme dich wohlwollend, damit den an Christus Glaubenden wahre Freiheit gewährt werde, und das ewige Erbe.
Deutsches Messbuch
Gütiger Gott, du hast uns durch deinen Sohn erlöst und als deine geliebten Kinder angenommen. Sieh voll Güte auf alle, die an Christus glauben, und schenke ihnen die wahre Freiheit und das ewige Erbe.
Anmerkungen
  1. Man sieht (im Original ganz gut), wie das bereits von Gott Gewährte (Erlösung, Anwahl) zu dem Erbetenen (wahre Freiheit, ewiges Erbe) hinführt; auch wie die ausgestreckten Arme von oben erbeten (widme dich wohlwollend den Kinder deiner Liebe) und von unten bezeugt werden (die an Christus Glaubenden). Dass Freiheit und Erbe nicht innerweltlich verstanden werden, zeigen ihre Attribute (wahr, ewig).
  2. Original werden Erlösung und Anwahl durch den angesprochenen Gott Vater, im DM durch den Sohn erreicht; im Original im Präsens, im DM im Perfekt. Die Kinder der Liebe werden im DM (als geliebte Kinder – was korrekteres Deutsch ist) freihändig zur Adoption gezogen, wodurch plötzlich das Objekt für das intende fehlt, wozu dann die Glaubenden aus dem Nebensatz vorgezogen werden müssen.
  3. Intendere heißt lenken, richten, wenden, wobei in Gebeten oft die Augen oder Ohren mitgedacht sind [sofern man so von Gott reden will], so dass „höre (aufmerksam) auf“ oder „sieh auf“ rauskommt; es ist auch: [ein Geschoß] zielen, oder [seine Aufmerksamkeit] lenken, also sich widmen.
Gabengebet
Deus, auctor sincéræ devotiónis et pacis, da, quǽsumus, ut et maiestátem tuam conveniénter hoc múnere venerémur, et sacri participatióne mystérii fidéliter sénsibus uniámur.
Das Gebet kam nicht im alten Missale vor, war im „Sacramentarium Leonianum aus dem siebten Jahrhundert aufgeführt“ und wird auch „am siebten Tag der Weihnachtsoktav sowie am 4., 7. und 10. Januar gebetet“ (Quelle)

Übersetzung
Gott, Urheber aufrichtiger Ergebenheit und des Frieden, gib, bitten wir, dass wir sowohl dein Größersein* geziemend durch diese Gabe verehren als auch durch die Teilnahme am heiligen Mysterium treulich mit [unseren] Auffassungen in Einklang gebracht werden.
* maiestas von maius (größer), also „Größersein“: Größe, Hoheit, Erhabenheit, Würde, Majestät

Man sieht wieder den parallelen Bau zwischen den von Gott ausgehenden Gütern und den erbetenten Wirkungen des Sakraments: aufrichtige Ergebenheit → geziemend verehren; Frieden → mit den Auffassungen in Einklang gebracht werden

Deutsches Messbuch
Herr, unser Gott, du schenkst uns den Frieden und gibst uns die Kraft, dir aufrichtig zu dienen. Lass uns dich mit unseren Gaben ehren und durch die Teilnahme an dem einen Brot und dem einen Kelch eines Sinnes werden.
Vergleich
  • Gott ⇒ Herr, unser Gott
  • Urheber aufrichtiger Ergebenheit ⇒ du gibst uns die Kraft, dir aufrichtig zu dienen
    Hier wäre weniger Kraft, mehr Demut und Eifer, also Ergebenheit, gefragt …
  • Urheber des Frieden ⇒ du schenkst uns den Frieden
    das aus dem einen Urheber zwei Verben (gibst, schenkst) werden, hat den Vorteil, dass man auch zwei Mal „Uns“ betonen kann. Original gehen Ergebenheit und Frieden von Gott aus, sind aber nicht auf „uns“ beschränkt.
  • gib, bitten wir, dass wir ⇒ lass uns
  • dein Größersein geziemend ⇒ dich
    Der fehlenden Demut oben entspricht hier ein mangelndes Bewusstsein des Ganz-anderes- und jedenfalls Größersein Gottes, das in einer angemessenen, geziemenden Verehrung Ausdruck finden würde.
  • die Teilnahme am heiligen Mysterium ⇒ die Teilnahme an dem einen Brot und dem einen Kelch
    ebenso wortreiche wie entbehrliche Erläuterungen, um den Verlust der ehrenden Attribute für Gott oben auszugleichen
  • treulich mit den Auffassungen in Einklang gebracht werden ⇒ eines Sinnes werden
Schlussgebet
Da fidélibus tuis, Dómine, quos et verbi tui et cæléstis sacraménti pábulo nutris et vivíficas, ita dilécti Fílii tui tantis munéribus profícere, ut eius vitæ semper consórtes éffici mereámur.
Übersetzung
Gib deinen Gläubigen, Herr, die du mit der Nahrung sowohl deines Wortes als auch des himmlischen Sakramentes nährst und belebst, so durch die so großen Gaben deines geliebten Sohnes voranzukommen, dass wir zu Teilhabern seines Lebens immer gemacht zu werden verdienen.
Deutsches Messbuch
Herr, unser Gott, in deinem Wort und Sakrament gibst du uns Nahrung und Leben. Lass uns durch diese großen Gaben in der Liebe wachsen und zur ewigen Gemeinschaft mit deinem Sohn gelangen.
Vergleich
  • gib deinen Gläubigen ⇒ lass uns
  • Herr ⇒ Herr, unser Gott
  • mit der Nahrung sowohl deines Wortes als auch des himmlischen Sakramentes ⇒ in deinem Wort und Sakrament
  • die du nährst und belebst ⇒ gibst du uns Nahrung und Leben
  • durch die so großen Gaben deines geliebten Sohnes ⇒ durch diese großen Gaben
  • vorankommen ⇒ in der Liebe wachsen
    Gebeten wird im Original allgemein um ein „Profizit“ (sozusagen, nämlich das Gegenteil von Defizit), um Fortschritt, Besserung [eines Kranken], Gedeihen [von Kindern] durch das Sakrament. Die Verengung auf „Liebe“ ist seltsam.
  • so [vorankommen], dass ⇒ und
    Im Original ist das Verdienst, zu Teilhabern gemacht zu werden, eine Beschreibung des Profizits (der Fortschritt soll so beschaffen sein, dass wir … verdienen), im DM einfach eine zweite (gleichrangige) Bitte.
  • zu Teilhabern seines Lebens immer ⇒ zur ewigen Gemeinschaft mit deinem Sohn
    Teilhaben am Leben Christi kann (und soll) man schon zu Lebzeiten (Röm 6, 11; Kol 2, 13; 1 Petr 2, 24). Das Leben Jesu ist die Zoë (die Art von Lebendigkeit), von der gesagt ist „In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“ (Joh 1, 4). Das DM redet nur jenseitlich.
  • gemacht zu werden verdienen ⇒ gelangen
    Das Original unterscheidet zwei Aspekte (wir bemühen uns und hoffen zu verdienen; wir hängen von Gottes Gnade ab und müssen gemacht werden), im DM klingt „gelangen“ so, als wäre es nur eine Frage der Zeit, das Ziel zu erreichen, und hat auch einen Hauch des Zufälligen (wie „geraten“ - in den Himmel geraten - ?).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen