Sonntag, 1. September 2019

Macht zur Tugend

Die Gebete des 22. Sonntags im Jahreskreis betreffen die Landwirtschaft, gewissermaßen.

Tagesgebet
Deus virtútum, cuius est totum quod est óptimum, ínsere pectóribus nostris tui nóminis amórem, et præsta, ut in nobis, religiónis augménto, quæ sunt bona nútrias, ac, vigilánti stúdio, quæ sunt nutríta custódias.
Übersetzung
Gott der Mächte, dessen alles ist, was sehr gut ist, säe in unsere Herzen die Liebe deines Namens und gewähre, dass du in uns durch das Wachstum der Frömmigkeit (Religion) was gut ist hegst und mit wachsamem Eifer was gehegt ist bewahrst.
Das Gebet wurde früher ähnlich am 6. Sonntag nach Pfingsten genommen:

Oratio (1962)
Deus virtutum, cuius est totum quod est optimum: insere pectoribus nostris amorem tui nominis, et praesta in nobis religionis augmentum; ut, quae sunt bona, nutrias, ac pietatis studio, quae sunt nutrita, custodias.
Übersetzung
Gott der Mächte, dessen alles ist, was sehr gut ist, säe in unsere Herzen die Liebe deines Namens und gewähre in uns das Wachstum der Frömmigkeit (Religion), damit du was gut ist hegst und mit dem nachsichtigem Eifer was gehegt ist bewahrst.
Änderungen
Im Vergleich zum Gebet im alten Missale hat sich im aktuellen Messbuch das „ut“ verschoben. Im Orginal wird um ein Wachstum der Frömmigkeit (lateinisch: Religion) gebeten, als deren Folge sich das Weitere ergibt. Im geänderten Gebet wird um die weiteren Anliegen gebeten, die sich „durch das Wachstum der Frömmigkeit“ einstellen sollen. Das Wachstum ist damit das Mittel des Hegens geworden (statt umgekehrt im Bildbereich: das Nähren und Pflegen fördert das Wachstum.)
Weiterhin wurde „nachsichtige Eifer“ durch „wachsamen Eifer“ ersetzt. Nachsichtiger Eifer (eigentlich „Eifer des Erbarmens“) erinnert an den Lolch, den der Hausherr zwar bemerkt, aber nicht ausreißen lässt (Mt 13, 29f.). Die Ersetzung ist darüberhinaus schade, weil pietas, von Gott gesagt, Milde, Erbarmen, Güte usw. bedeutet, aber in umgekehrter Richtung Frömmigkeit, Ehrfurcht, kindliche Liebe – also zu der religio, die in uns wachsen soll, korrespondiert. Das Reformmissale wollte lieber „wachsam“ als passend zu bewahren (oder behüten) nehmen, was auf kurze Sicht (im Halbsatz) passt, aber den großen Bezug des Gebens und Nehmens der Frömmigkeit verliert.
Die Reihenfolge von amorem tui nominis wurde (ohne dass sich dadurch etwas inhaltlich ändert) umgedreht.

Deutsches Messbuch
Allmächtiger Gott, von dir kommt alles Gute. Pflanze in unser Herz die Liebe zu deinem Namen ein. Binde uns immer mehr an dich, damit in uns wächst, was gut und heilig ist. Wache über uns und erhalte, was du gewirkt hast.
Vergleich
  • Gott der Mächte ⇒ allmächtiger Gott
    Das „virtutum“ des Originals ist einerseits „Mächte“, wie in „Gott der Mächte [oder himmlischen Heerscharen]“ – einem der alttestamentlichen Namen Gottes (Gott Zebaoth). Andererseits meint es auch Tugenden – es ist naklar sehr beziehungsreich, wenn man als Nächstes Gott als Quelle alles Guten anspricht, schon in der Anrede auf den „Gott der Tugenden“ anzuspielen.
  • dessen alles ist, was sehr gut ist ⇒ von dir kommt alles Gute
    Im Original wird gesagt, das alles Gute Gott gehört, das Ausgehen des Guten (oder das „Kommen“) wird erst erbeten. Im DM wird das Kommen als schon geschehen vorausgesetzt.
    Das Gute ist ein „optimum“, also das Beste oder mindestens ein sehr Gutes.
  • durch das Wachstum der Frömmigkeit (Religion) ⇒ binde uns immer mehr an dich
    Das DM bittet hier um das Wachstum, übersetzt also was im alten Missale stand.
    Es gibt aber einen größeren Punkt: Das Wort „Religion“ stammt zwar etymolisch von re-ligere (zurück-binden, nämlich an den Schöpfer), meint aber im Lateinischen nicht Bindung, genausowenig wie Fern-seher einen Weit-sichtigen bezeichnet, selbst wenn die Wortzerlegung einem Unkundigen das nahelegen würde.
    Religion kann vielmehr ziemlich alles heißen, was mit dem Heiligen zu tun hat; als kleine Auswahl: Scheu, Ehrfurcht, Gewissensbisse, Gottesfurcht, Frömmigkeit, Götterverehrung, Aberglaube, Kultbild, Gottesdienst, heiliger Eid, Orden, Frevel.
    Vermutung: Vielleicht ist das Wachsen in der Religion mit „mehr an dich binden“ nicht völlig umfassend wiedergegeben.
  • damit du was gut ist hegst ⇒ damit in uns wächst, was gut und heilig ist
    Hier wird das „in uns wächst“ nachgeholt, und das „heilig“ soll wohl der religio-Ersatz sein.
    Original ist Gott das Subjekt und das „was gut ist“ das Objekt, im DM ist der Nebensatz das Subjekt und Gott fällt aus dem Satz.
    Der originale Dreischritt von säen, hegen, erhalten ist durch denn Ausfall des Hegens zerstört.
  • mit wachsamem Eifer ⇒ wache über uns
    Das DM kreiert eine Extrabitte, um ein „Uns“ einfügen zu können?
  • was gehegt ist bewahrst ⇒ erhalte, was du gewirkt hast
    Natürlich geht alles um Gottes Wirken, aber die konkret hier benutzten Worte des Landbaus machen den Ton des Gebets aus. Es hat auch (sofern das Hegen insbesondere ein Nähren ist) etwas von „er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5, 45) oder von „Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55, 10f.)
Es ist schade, dass das so sorgfältig gebaute Bild des alten Gebets im Reformmissale schief wiedergegeben und im DM völlig zerstört wird.

Gabengebet (im alten Missale für den 2. Sonntag nach Ostern vorgesehen)
Benedictiónem nobis, Dómine, cónferat salutárem sacra semper oblátio, ut, quod agit mystério, virtúte perfíciat.
Übersetzung
Heilbringenden Segen, Herr, spende uns allzeit das heilige Opfer, damit es, was es im Mysterium hervorbringt, mit Macht vervollkommne.
Es war bereits von der dichterischen Klammerung der Ausdrücke, die gelegentlich für meinen Geschmack überhand nimmt, gesprochen worden; hier ist sie farblich markiert. Vorteil: an den wichtigen Stellen (Halbsatzanfang und –ende) stehen „Segen uns“ und „heiliges Opfer“, wobei das „allzeit“ dazwischen gerutscht ist, so dass man sich fragt, ob etwa (analog zur allzeit jungfräulichen Gottesmutter), das „allzeit heilige Opfer“ gemeint ist.
Das Gabengebet passt schön zum Tagesgebet, weil im Sakrament gesät (hervorgebracht, initiert) wird, was sich im Leben „mit Macht“ (des Sakraments) oder auch „durch Tugend“ (sofern wir uns beteiligen wollten) wächst und reift (vervollkommnet wird).

Deutsches Messbuch
Herr, unser Gott, diese Opferfeier bringe uns Heil und Segen. Was du jetzt unter heiligen Zeichen wirkst, das vollende in deinem Reich.
Anmerkungen
Das DM umgeht die Frage, ob „allzeit“ zu „heilig“ gehört, indem es beide weglässt.
Im Original ist das heilige Opfer das, was hervorbringt und vervollkommnet, im DM wird Gott selbst dazu herangezogen.
Dass das „Mysterium“ (das wie Sakrament soviel wie Geheimnis bedeutet) zum „Zeichen“ wird, ist dann bedenklich, wenn man viele trifft, die das Allerheiligste lediglich für ein Symbol halten.
Hier taucht das anfangs vermisste „heilig“ wieder auf, und das „allzeit“ wird ein „jetzt“.
Der Zusatz „in deinem Reich“ für „mit Macht“ hängt sich an der Idee auf, dass das Allerheiligste ein Unterpfand ist, dessen Forderung im Reich Gottes eingelöst wird. Ich fand dagegen den Gedanken recht ansprechend, dass das Sakrament der Same ist, der auf guten Boden fallend „Frucht brachte, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach“ (Mt 13, 8), dass es also uns ein Mittel zur Heiligkeit (eine Macht zur Tugend oder virtus virtutis, wenn man so wortspielen will) schon in diesem Leben ist.

Schlussgebet
Pane mensæ cæléstis refécti, te, Dómine, deprecámur, ut hoc nutriméntum caritátis corda nostra confírmet, quátenus ad tibi ministrándum in frátribus excitémur.
Übersetzung
Mit dem Brot des himmlischen Tisches gespeist flehen wir dich, Herr, an, dass diese Nahrung der Liebe unsere Herzen stärke, damit wir zum dir in den Brüdern Dienen angefacht werden.
Hier wird der Gedanke des Säens, Pflegens, Bewahrens fortgesetzt zum Brot gewordenen geernten Korn, das seinerseits uns als Nahrung und zur Stärkung dient, damit wir wiederum die Brüder pflegen, hegen, stärken [bzw. Speisen und Tränken, Beherbergen, Bekleiden usw.], ihnen also mit einem Wort: dienen. Soweit hübsch und rund.
Das Gebet scheint keinen Vorläufer im alten Messbuch zu haben, aber ganz ähnlich beginnt das
Schlussgebet in der Votivmesse um Priesterberufungen:
Pane mensæ cæléstis refécti, te, Dómine, deprecámur, ut, per hoc sacraméntum caritátis, illa sémina maturéscant, quæ magna in agrum Ecclésiæ tuæ largitáte dispérgis, quátenus multi sorte sibi éligant tibi in frátribus ministráre.
Übersetzung
Mit dem Brot des himmlischen Tisches gespeist flehen wir dich, Herr, an, dass durch dieses Sakrament der Liebe jene Samen reifen, die du in großer Freigebigkeit auf den Acker deiner Kirche ausstreust, damit viele sich als Beruf wählen, dir in den Brüdern zu dienen.
Anmerkungen
In dem Votivmessengebet wird das Thema der Gebete von 22. Sonntag so schön aufgegriffen, dass es wohl deshalb als Grundlage für das Schlussgebet hier herhalten musste. Allerdings wurde der Teil mit dem Samen usw. gestrichen. Damit aber die Verbindung bestehen bleibe, wurde sacramentum in nutrimentum geändert. Die Nahrung (nutrimentum) erinnert an das nutrire (nähren, hegen) des Tagesgebets. Dies konfligiert allerdings mit einer belegten Wendung: denn nach Augustinus (von Thomas von Aquin zitiert) ist das nutrimentum caritatis := Verminderung der Begierde {denn der Nächstenliebe Gift ist die Begierde}].

Deutsches Messbuch
Allmächtiger Gott, du hast uns gestärkt durch das lebendige Brot, das vom Himmel kommt. Deine Liebe, die wir im Sakrament empfangen haben, mache uns bereit, dir in unseren Brüdern zu dienen.
Vergleich
  • Herr ⇒ allmächtiger Gott
  • Brot des himmlischen Tisches ⇒ das lebendige Brot, das vom Himmel kommt
    Der himmlische Tisch kommt im alten Missale in mindestens einem halbend Dutzend Gebete vor, kann also als etablierte Wendung gelten. Zudem haben wir im Kanon die Stelle:
    Demütig bitten wir dich, allmächtiger Gott: befehle diese [Gaben] getragen zu werden durch die Hand deines heiligen Engels auf deinen himmlischen Altar, vor das Angesicht deiner göttlichen Majestät
    wo der himmlische Tisch oder Altar ebenfalls genannt ist. Warum das DM stattdessen lieber Joh 6, 51 zitiert, ist unklar. Vielleicht mag es denn Gedanken, dass wir, die streitende Kirche, zusammen mit der triumphierenden Kirche, mit allen Engeln und Heiligen gemeinsam an dem einen Altar anbeten, nicht.
  • mit dem [Brot] gespeist flehen wir dich an, dass [es] unsere Herzen stärke ⇒ du hast uns gestärkt durch das [Brot]
    Neben extensiven Streichungen (gespeist, wir flehen dich an, unsere Herzen ⇒ uns) ist das „stärken“, das im Original in der Bitte kommt, im DM als schon geschehen vorausgesetz.
  • diese Nahrung der Liebe ⇒ deine Liebe, die wir im Sakrament empfangen haben
    Die alte Frage, ob die „Liebe des Vaters“ die Liebe vom oder zum Vater ist, schlägt hier zu. In diesem Zusammenhang würde ich verstehen wollen, dass „Nahrung der Liebe“ die Nahrung zur Stärkung der Liebe ist, das, was die Liebe nährt. Man sieht ja auch im Anschluss, dass die durch die die Liebe nährende Nahrung gestärkten Herzen zum Dienst an Gott in den Brüdern angefacht werden.
  • damit wir angefacht werden ⇒ mache uns bereit
    Im DM wird befohlen, dass die göttliche Liebe bereit mache; im Original gefleht, dass die Nahrung der Liebe die Herzen stärke (wodurch – quasi als automatische Folge – wir angefacht werden).

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