Sonntag, 10. März 2019

Original und Fälschung (1. Fastensonntag)

Erklärtes Ziel der Liturgie-Reform war u.a. die leichte Fasslichkeit des hinter den Texten stehenden Heiligen, wie es SC* 21 erklärt:
Bei dieser Erneuerung sollen Texte und Riten so geordnet werden, daß sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, daß das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.
* Sacrosanctum Concilium - Konstitution des 2. Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie

Man könnte sagen, dass man hier an Paulus anschließt, der schreibt:
Denn obwohl ihr der Zeit nach schon Lehrer sein müsstet, braucht ihr von Neuem einen, der euch in den Anfangsgründen der Worte Gottes unterweist; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben, nicht feste Speise. (Hebr 5,12)
Milch gab ich euch zu trinken statt fester Speise; denn diese konntet ihr noch nicht vertragen. Ihr könnt es aber auch jetzt noch nicht. (1 Kor 3,2)
Zwar spricht der Apostel hier tadelnd über die Weltlichkeit der Angesprochenen, aber nun ja.

Jedenfalls scheinen die Übersetzer des Messbuchs ins Deutsche selbst bei der Milch der reformierten Tagesgebete noch etwas nachverdünnen gewollt zu haben.
Wir hatten an Aschermittwoch statt der kraftvollen soldatischen Bildsprache eine Salbaderei, mit der um das Wort „Kraft“ getappst wird.
Zum ersten Fastensonntag haben wir nun ein (eigentlich) kompaktes Gebet, das – eine gründliche Katechese vorausgesetzt – an Wesentliches knackig erinnert und Geheimnisvolles andeutet.
Ich zerstöre nach dieser Einleitung wohl nicht zuviel Spannung, wenn ich vorwegnehme, dass der deutsche Text weitschweifig und nichtssagend ist und seine „Kraft“ wieder nur aus der Benutzung ebendieses Wortes zieht.

Die Heilige Mutter Kirche betet heute:
Concéde nobis, omnípotens Deus, ut, per ánnua quadragesimális exercítia sacraménti, et ad intellegéndum Christi proficiámus arcánum, et efféctus eius digna conversatióne sectémur.
Das Geheimnis begegnet uns hier zwei Mal.
Zum einen in der Gestalt des arcanum, das „Verschlossenes, Unerforschliches, Geheimes“ bedeutet und von arca abstammt, das Arche (daher das deutsche Wort), Kiste oder Sarg bedeutet. Das Geheimnis Christi, von dem hier die Rede ist, spielt auf den unerforschlichen Ratschluss Gottes an, seinen einziggezeugten Sohn nicht nur Mensch werden, sondern schimpflich sterben zu lassen, und schließt alle (ver)Zweifel(ung), die Menschen befallen können, wie „Warum ist die Welt wie sie ist? Warum gibt es Leid? Warum lässt ein liebender Gott Dinge, wie sie tatsächlich passieren, zu?“ mit ein. Das Geheimnis ist aber nicht nur der Sarg, sondern darin verborgen auch die Auferstehung, der Keim des wahren und ewigen Lebens.
Zum anderen [begegnet uns das Geheimnis] als sacramentum, das erstmal eine Behelfsübersetzung für das griechische Mysterium (Geheimnis) war und vom Hl. Augustinus auf die Sieben Geheimnisse (Taufe, Firmung, Beichte, Eucharistie, Eheschließung, Weihe, Krankensalbung) bezogen wurde. Im klassischen Latein heißt es soviel wie „das, wodurch man sich oder einen anderen zu etwas verbindlich macht“, insbesondere den Diensteid des Soldaten bzw. den Kriegsdienst. Nun ist das Fasten als solches kein Sakrament im heute üblichen Sinne, aber angesichts des Exerzierens (exercítia), mit dem es im Tagesgebet in Zusammenhang gesetzt wird, und der Bildsprache des Gebets vom Aschermittwoch verstehen wir, dass die Fastenden eine Dienstverpflichtung auf sich nehmen, die eine Verbindung zum Ostergeheimnis herstellt.

Eigentlich überflüssig hier noch anzuführen, dass das proficiámus („wir mögen fortschreiten“, nämlich zum Verständnis, in meiner Übersetzung unten verkürzt zu „besser verstehen“) genausogut „marschieren“ heißen kann, wie in „viam tridui proficere - drei Tagesmärsche zurücklegen“.

Zum Verständnis eines inhaltlichen Unterschiedes zwischen meiner und der „offiziellen“ Übersetzung sei angemerkt, dass conversatio sowohl Lebenswandel als auch Sinneswandel (also Umkehr) bedeuten kann.

Dies vorausgeschickt wird das Gebet relativ wörtlich in holpriges Deutsch gebracht:
Gewähre uns, allmächtiger Gott, dass wir durch die jährlichen Exerzitien des vierzigtägigen Dienstes das Geheimnis Christi besser verstehen und seine Wirkung durch würdige Umkehr erstreben.
bzw. in verdünntem Sprachbrei ausgedrückt:
Allmächtiger Gott, du schenkst uns die heiligen vierzig Tage als eine Zeit der Umkehr und der Buße. Gib uns durch ihre Feier die Gnade, dass wir in der Erkenntnis Jesu Christi voranschreiten und die Kraft seiner Erlösungstat durch ein Leben aus dem Glauben sichtbar machen.
Als Übung für den Leser bliebe zu klären, was die Wirkung/der Effekt des Ostergeheimnisses, den wir durch Umkehr erstreben, ist, und warum dessen Kraft im Messbuchtext nur „sichtbar“ werden soll.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen