Freitag, 15. März 2019

Warum der Heilige Geist die Gestalt einer Taube annehmen wollte

Anlasslos, d.h. ohne Verbindung zur liturgischen Zeit, einige Gedanken aus einer Predigt von Wilhelm Molitor, die zeigen, mit welch anschaulichen Bildern man seinerzeit (AD 1649) den Glauben lehrte und die Herzen anspornte.
Nun müssen wir aber sehen, warum der Heilige Geist die Gestalt einer Taube annehmen wollte. Das müssen wir wissen, weil jene, die den Heiligen Geist annehmen wollen, auch die Gestalt einer Taube haben müssen. Die Taube hat aber sieben Eigenschaften, die wir geistlich haben müssen, wenn wir die sieben Gaben des Heiligen Geistes annehmen wollen.
Erstens: „Wie die Tauben seufzen wir nachdenklich“ (liest sich das Wortspiel* aus Jes 59,11 nach der Vulgata): Das Nachdenken führt zur Trauer nach dem Wort des Hl. Bernhard: „Bei all deinem Tun, o Mensch, bedenke deine Letzten Dinge: den Schrecken des Todes, das Zittern vor Gericht, die Strafe der Hölle, das Elend des gegenwärtigen Lebens und die eigene Vergänglichkeit.“ und du wirst nicht sündigen (vgl. Sir 7,36). Oder auch „Der Weise fürchtet sich und meidet das Böse.“ (Spr 14,16). So ist die erste Gabe des Heiligen Geistes nach Augustinus das Vermeiden des Bösen. „Die Gabe der Furcht ist dem Menschen sehr nötig zum Heil.“

Zweitens: Tauben haben wie andere Vögel die Eigenschaft, fremde Kücken, die von den Eltern verlassen sind, zu atzen. Das symbolisiert die zweite Gabe des Heiligen Geistes, die Mildtätigkeit (pietas, das auch bedeutet: Frömmigkeit, Pflichterfüllung, Nächstenliebe, Barmherzigkeit …)

Drittens: Tauben zeichnen sich durch Einfalt aus, d.h. sie handeln ohne List und Tücke (vgl. Mt 10,16). Durch Einfalt erwirbt man die dritte Gabe des Heiligen Geistes, nämlich Einsicht (scientia). Die Ausübung dieser Gabe lehrt den Menschen, sich richtig zu betragen inmitten eines falschen, verdrehten Volkes (vgl. Deut 32,5) Augustinus definiert Einsicht als Erkenntnis menschlicher und göttlicher Dinge; durch sie lernt der Mensch Gut und Böse zu unterscheiden.

Viertens: Tauben halten sich gern in Felslöchern auf. Hier wird der Fels als Christus und die Löcher als die fünf Wunden gedeutet und gefolgert: wer den Geist empfangen will, muss gerne die Wunden Christi meditieren. Dies verleiht die Gabe der Stärke, nämlich beim Ertragen von Widrigkeiten (nach Jesu Beispiel, der seine Qualen gleichmütig, ohne Zorn erduldete)

Fünftens: Tauben pflegen die besseren Körner zu wählen und die geringeren zu verwerfen. Entsprechend soll man die besseren Lehren wählen (d.h. vielen zuhören und die besten Lehren zur Nachahmung wählen). Daraus folgt die fünfte Gabe, nämlich Rat, d.h. das Unterscheidungsvermögen, was man tun und lassen soll.

Sechstens: Tauben pflegen am Wasser zu sitzen und wenn sie im Wasser den Schatten eines Habichts sehen zu fliehen. Wasser symbolisiert die Heilige Schrift, die wir gerne lesen müssen (=dabei sitzen), damit wir den Schatten des Teufels, der die Seele rauben will, erkennen, nämlich die Sünde. Denn wo der Schatten ist, ist der Teufel nicht fern. Die sechste Gabe des Geistes ist also Erkenntnis, durch welche der Mensch aus den Irdischen, die er sieht, die Himmlischen, die er nicht sieht, erkennt, also aus den Geschöpfen den Schöpfer. (Röm 1,20: Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine [Gottes] unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen; Weisheit 13,5: Denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird analog ihr Schöpfer erschaut). Das ist also die Gabe der Erkenntnis, dass der Mensch seinen Schöpfer, den er nicht sieht, aus dem, was er sieht, erkennen kann.

Siebtens: Wenn die Taube ruhen will, fliegt zu ihrem Nest und ruht nirgends sonst aus (wie die Taube Noahs in Gen 8 zur Arche zurückkehrt, weil sie sonst nirgends zur Ruhe kommen kann). Oder die Brieftauben ruhen nicht, bis sie zu ihrem Schlag zurückgekehrt sind. Dies bezeichnet, dass jene, die den Heiligen Geist empfangen wollen, ihre Ruhe nicht in vergänglichen Dingen suchen sollen, sondern in ihrem Nachdenken fliegen müssen, bis sie zu ihrem Nest kommen, d.h. zur Betrachtung der himmlischen Dinge und Gottes, von dem wir kommen und von dem wir geschaffen sind; dort finden wir Ruhe und nirgends sonst. Ps 55,7: „Da dachte ich: Hätte ich doch Flügel wie eine Taube, dann flöge ich davon und käme zur Ruhe.“ Dadurch erhält man die siebente Gabe des Heiligen Geistes, nämlich Weisheit (sapientia), d.h. Erkenntnis der ewigen Dinge, wenn man aus den Betrachtungen der oberen Dinge beginnt die himmliche Süße zu schmecken/verstehen [sapere]. Isidor lehrt: Weisheit heißt gewissermaßen die ewigen Dinge betrachten und sich an ihnen zu erfreuen.


Erläuterung des Wortspiels
* Das Wort hagah bedeutet eigentlich murmeln, (leise) reden wie in
Ps 71,4: meine Zunge soll von deiner Gerechtigkeit reden den ganzen Tag
Ps 35,28: Und meine Zunge soll hersagen deine Gerechtigkeit, dein Lob den ganzen Tag.
Job 27,4: wenn meine Zunge Trug ausspricht
dann durch Erweiterung nachdenken, überlegen, planen wie in
Ps 63,7: wenn ich ... über dich nachdenke in den Nachtwachen
Ps 77,13: Ich will nachdenken über all dein Tun, und über deine Taten will ich sinnen.
Ps 38,13: Die nach meinem Leben trachten, … sinnen auf Betrug den ganzen Tag
oder von Tieren gesagt: leise Geräusche machen, z.B.
Jes 31,4: Wie knurrt der Löwe und der Junglöwe über seiner Beute
Jes 38,14: ich gurrte wie die Taube
In Jesaja 59,11 wird hagah doppelt (zur Verstärkung) benutzt, und das wird in der damals verbreiteten lateinischen Übersetzung (Vulgata) zu
Jes 59,11: quasi columbae meditantes gememus (wie die Tauben gurren wir nachdenklich)
Da gemere, das poetisch von Tieren ausgesagt krächzen, brüllen, wiehern, gurren bedeutet, auf Personen angewendet aber soviel wie seufzen, stöhnen, ächzen heißt, kommen wir von Jesajas „intensiv gurren“ zu dem hier verstandenen „nachdenklich seufzen“.




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