Montag, 12. August 2019

Superexzellente Herrlichkeit

Das (am 15. August) bevorstehende Hochfest der Aufnahme der seligen Jungfrau Maria [deutsch: Mariä Aufnahme in den Himmel] wirft seinen Glimmer voraus, da es zu den drei (außer den Herrenfesten Weihnachten, Epiphanie, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten) verbliebenen gehört, die mit einer eigenen Vigil (Messe am Vorabend) versehen sind. (Die anderen beiden sind am 24. Juni Geburt des Täufers und am 29. Juni Peter und Paul.)

In der Nachtwache vor dem Fest („entweder vor oder nach der ersten Vesper des Hochfestes“) betet die Kirche:

Tagesgebet
Deus, qui beátam Vírginem Maríam, eius humilitátem respíciens, ad hanc grátiam evexísti, ut Unigénitus tuus ex ipsa secúndum carnem nascerétur, et hodiérna die superexcellénti glória coronásti, eius nobis précibus concéde, ut, redemptiónis tuæ mystério salváti, a te exaltári mereámur.
Übersetzung
Gott, der du die selige Jungfrau Maria, ihre Niedrigkeit beachtend*, zu dieser Gnade, dass dein Einziggezeugter aus ihr dem Fleisch nach geboren werde, emporgetragen und am heutigen Tage mit superexzellenter [über-ausgezeichneter] Herrlichkeit gekrönt hast: auf ihre Bitten hin gewähre, dass wir, durch das Mysterium deiner Erlösung gerettet, zu dir erhöht zu werden verdienen.
* Das „Beachten“, das Gott der Niedrigkeit Mariens zuteil werden läßt, ist dasselbe, das dem Opfer Abels gilt, also ein gnädiges Schauen, ein Annehmen, Berücksichtigen, Denken an usw.

Deutsches Messbuch
Allmächtiger Gott, du hast die Jungfrau Maria zur Mutter deines ewigen Sohnes erwählt. Du hast auf deine niedrige Magd geschaut und sie mit Herrlichkeit gekrönt. Höre auf ihre Fürsprache und nimm auch uns in deine Herrlichkeit auf, da du uns erlöst hast durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes unseres Herrn Jesus Christus
Vergleich
  • Gott ⇒ allmächtiger Gott
  • du hast die selige Jungfrau Maria zu dieser Gnade emporgetragen ⇒ du hast die Jungfrau Maria erwählt
  • dass aus ihr dem Fleisch nach geboren werde ⇒ zur Mutter
  • dein Einziggezeugter ⇒ dein ewiger Sohn
  • ihre Niedrigkeit beachtend ⇒ auf deine niedrige Magd geschaut
  • am heutigen Tage mit superexzellenter Herrlichkeit gekrönt ⇒ mit Herrlichkeit gekrönt
  • auf ihre Bitten hin gewähre ⇒ höre auf ihre Fürsprache
  • dass wir zu dir erhöht zu werden verdienen ⇒ nimm auch uns in deine Herrlichkeit auf
  • durch das Mysterium deiner Erlösung gerettet ⇒ da du uns erlöst hast durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes unseres Herrn Jesus Christus
Anmerkungen
  1. Die Tendenz des Deutschen Messbuchs, den Heiligen ihren „Titel“ [hier: selige] zu nehmen, war schon beobachtet worden. Zusammen mit den vielfachen Streichungen des reformischen Missale verdichtet sich der Eindruck, man wolle nunmehr die Heiligen zu uns Sündern herunterziehen, statt sie als Vorbild, an dem wir uns emporarbeiten können, stehen zu lassen.
  2. Das zeigt sich in diesem Tagesgebet besonders. Maria ist deutschmessbuchlich „erwählt“, ein sehr unscharfes Wort. Da ist Jesus der erwählte Knecht (Mt 12,18), der „Christus Gottes, der Erwählte“ (Lk 23,35). Dann sind aber auch die Apostel Erwählte (Joh 6,70.13.18,15.19; Apg 1.2). Und schließlich – analog zum Volk Israel im Alten Bund – sind alle Getauften erwählt (1 Kor 1,27f.; Eph 1,4; Kol 3,12; 1 Thes 1,4). Maria könnte so als „eine von uns“ erscheinen, oder in den Worten des gegenwärtigen Papstes: „Maria ist normal, sie ist eine Frau, die von jeder anderen Frau in dieser Welt nachgeahmt werden kann“. Das ist allerdings nicht genau das, was eigentlich im Tagesgebet mit „zu dieser [besonderen] Gnade emporgetragen“ gemeint ist.
    Nebenbei: „emporgetragen“ ist natürlich hübsch gesagt, weil es die erwähnte Niedrigkeit kontrastiert und genau zum Festthema passt.
  3. Wenn das Tagesgebet „dem Fleisch nach geboren“ sagt, betont es natürlich neben der Menschennatur, die von Maria stammt, die Gottesnatur Jesu, dem fleischgewordenen Ewigen Wort. Das Deutsche Messbuch spricht nur von „Mutter“ – wer hätte denn nicht eine? Der „ewige Sohn“ statt des „Einziggezeugten“ retten m.E. nur wenig, aber über diese Vokabel war schon geschrieben worden.
  4. "auf deine niedrige Magd geschaut" soll wohl die Anspielung auf das Magnificat deutlich machen; dann hätte man sich aber entweder an den lateinischen Text halten oder die Wortwahl in der Einheitsübersetzung (Lk 1,48) aufgreifen sollen.
  5. Aber wirklich schrecklich ist die deutschmessbuchliche Unterdrückung der „superexzellenten“ Herrlichkeit. (Das Wort steht so im lateinischen Text, aber nicht im Wörterbuch, würde „mehr als ausgezeichnet und vorzüglich“ heißen, kann aber [sagt meine Tochter] auch unübersetzt verstanden werden.) Das zusammen mit der „Herrlichkeit“, in die Gott „auch uns“ aufnehmen soll (statt der Bitte, wir mögen „erhöht zu werden verdienen“, das gerade zeigt, dass wir zu niedrig stehen und der Gnade bedürfen, uns der Herrlichkeit würdig zu erweisen) nivelliert gänzlich den Unterschied zwischen Maria und Uns. Dort etwas weniger Superexzellenz [gerade wenn am heutigen Tage (was auch gestrichen wurde) die leibliche Aufnahme in den Himmel, die gewöhnliche Leute bestenfalls zum Jüngsten Gericht erhoffen können, gefeiert wird – sehr ironisch], hier etwas mehr dazugedichtete Herrlichkeit – schon arbeiten wir auf Augenhöhe.
  6. Der Rollentausch zieht sich bis zur Bitte durch: statt dass Gott „auf ihre Bitten hin gewähre“ was wir erflehen, meint der Deutsches-Messbuch-Texter, Gott befehlen zu müssen, Maria zu beachten: „Höre auf ihre Fürsprache“ – würde er ja ohne „Unsere“ Erinnerung kaum tun, oder wie wird da gedacht?
  7. Die Vergesslichkeit Gottes scheint die Konstante des Deutschen Messbuchs zu sein, denn es wird das Geheimnis der Erlösung mit „durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes unseres Herrn Jesus Christus“ verdolmetscht – für den Fall, dass Gott gerade nicht parat hat, welche Erlösung gemeint ist?? Oder bekommt der Texter ein Zeilenhonorar und musste noch ein paar Wörter schinden?
Gabengebet
Súscipe, quǽsumus, Dómine, sacrifícium placatiónis et laudis, quod in sanctæ Dei Genetrícis Assumptióne celebrámus, ut ad véniam nos obtinéndam perdúcat, et in perpétua gratiárum constítuat actióne.
Übersetzung
Nimm an, bitten wir, Herr, das Opfer der Versöhnung und des Lobes, das wir zur Aufnahme der heiligen Gottesgebärerin feiern, dass es zur Verzeihung, die wir erhalten müssen*, führe und in einer fortwährenden Handlung des Dankes haltmache**.
* die uns so nötig ist
** im Sinne von „Lager aufschlagen“, „vor Anker gehen“, „erreichen“

Deutsches Messbuch
Herr und Gott, am Fest der Aufnahme Marias in den Himmel bringen wir das Opfer des Lobes und der Versöhnung dar. Es erwirke uns die Vergebung der Sünden und die Gnade, dir immer zu danken.
Vergleich
Herr ⇒ Herr und Gott
das Opfer der Versöhnung und des Lobes ⇒ das Opfer des Lobes und der Versöhnung
nimm an, bitten wir ⇒ wir bringen dar
[Opfer], das wir zur Aufnahme der heiligen Gottesgebärerin feiern ⇒ am Fest der Aufnahme Marias in den Himmel
dass [das Opfer] zur Verzeihung, die wir erhalten müssen, führe ⇒ [das Opfer] erwirke uns die Vergebung der Sünden
[dass das Opfer] in einer fortwährenden Handlung des Dankes haltmache ⇒ [das Opfer erwirke uns] die Gnade, dir immer zu danken
Anmerkungen
  1. Die theologische Tiefendimension der Reihenfolgeänderung von Versöhnung und Lob erschließt sich mir nicht, aber eigentlich ist es schon so, dass Gott mit seiner vorauseilenden Gnade der Akteur der Versöhnung ist, auf die wir mit dem Lob antworten.
  2. Im Original ist Gott der Handelnde (nimmt das Opfer an), im DeutschMessbuch das ominöse „Wir“ (wir bringen dar).
  3. a) der Titel „heilige“ wird wieder gestrichen b) der Titel Gottesgebärerin erinnert daran, dass schon das Jesuskind in der Krippe Gott war (entgegen der Irrlehre des Nestorius), genau wie der Titel „Einziggezeugter“ (gegen Arius, der die Gottesnatur Jesu nicht erkannte), und dass nicht etwa Jesus bloß ein guter Mensch war, der dann später (z.B. bei der Taufe, als der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auf ihn herabstieg) von Gott adoptiert wurde (wie wir anderen alle). Diese Titel scheinen im Deutschen Messbuch auch sehr vermieden zu werden.
  4. Dafür erinnert das Deutsche Messbuch daran, dass die Vergebung „der Sünden“ gemeint ist (Man stelle sich die Verwirrung der Gemeinde vor, wenn Gott nur um „Vergebung“ gebeten würde und alle sich fragen, wofür denn gleich!). Im Original ist „obtinendam“ eine kompakte Form, die Notwendigkeit auszudrücken. Wenn ich zu freierer Übersetzung neigte [Ich nehme hier meist Wörter, die einem Lateinlehrer anzeigen würden, dass man die Form korrekt identifiziert hat, selbst wenn das Deutsch dann holprig wird.], würde ich „die uns so nötig ist“ geschrieben haben. Das sollte zwar auch eine Erinnerung sein, aber möglicherweise eine, die wenn sie oft genug wiederholt würde, das desaströse Beichtverhalten in deutschen Landen weniger dramatisch hätte werden lassen.
  5. Vollends zerstört das Deutsche Messbuch alles, wenn es von „Gnade zu danken“ phantasiert. a) Die „fortfährende Handlung des Dankes“ ist das „'luja, sag ich“ des Münchners im Himmel, also das Ziel, wo die Sieger auf der Wolke sitzen und Harfen zupfen (vgl. Offb 15,2-4). b) Das Opfer „führt“ zur Verzeihung mit dem gleichen perducat (hindurchführt) wie Mose das Volk durch das Schilfmeer, d.h. als ein Auszug aus der Knechtschaft der Sünde und dem Anfang des Wegs zum Gelobten Land. (Wer möchte, lese die Beiträge zur Osternacht nach.) Und es lässt uns lagern (fast hätte ich freihändig „auf grünen Auen und an stillen Wassern“ ergänzt) oder ankern oder bleiben in dem fortwährenden Dank. – Das ist doch mal ein schönes postreformisches Gebet, dass sich dadurch auszeichnet, dass es tief in katholischer Tradition getränkt ist und bei jeder Gelegenheit noch mal alles Wichtige sagt. Und jetzt finde das mal jemand in der Deutsches-Messbuch-Paraphrase wieder, die alle Verben mit „erwirke“ ersetzt 😖
Schlussgebet
Mensæ cæléstis partícipes effécti, implorámus cleméntiam tuam, Dómine Deus noster, ut, qui Assumptiónem Dei Genetrícis cólimus, a cunctis malis imminéntibus liberémur.
Übersetzung
Zu Teilnehmern des himmlischen Tisches gemacht flehen wir deine Güte an, Herr unser Gott, dass die wir die Aufnahme der Gottesgebärerin begehen von allen drohenden Übeln befreit werden.
Deutsches Messbuch
Herr, unser Gott, am Fest der Aufnahme Marias in den Himmel hast du uns an deinem Tisch versammelt. Erhöre unser Gebet und lass auch uns nach aller Mühsal dieser Zeit zu dir in die ewige Heimat gelangen.
Vergleich
  • Herr unser Gott ⇒ Herr unser Gott
  • zu Teilnehmern des himmlischen Tisches gemacht ⇒ du hast uns an deinem Tisch versammelt
  • wir flehen deine Güte an ⇒ erhöre unser Gebet
  • wir begehen die Aufnahme der Gottesgebärerin ⇒ am Fest der Aufnahme Marias in den Himmel
  • dass von allen drohenden Übeln befreit werden ⇒ lass auch uns nach aller Mühsal dieser Zeit zu dir in die ewige Heimat gelangen
Anmerkungen
  • Die Anrede Gottes wurde nicht geändert. Ging dem Messbuchtexter die Puste aus?
  • Aber nein. Der Ausdruck „um deinen Tisch versammelt“ enthält ziemlich alles, was in der Deutschkirche falschgelaufen ist. Zur Erinnerung, was mit dem „himmlischen Tisch“ gemeint ist, hier aus dem Hochgebet:
    "Wir bitten dich, allmächtiger Gott: Dein heiliger Engel trage diese Opfergabe auf deinen himmlischen Altar vor deine göttliche Herrlichkeit; und wenn wir durch unsere Teilnahme an diesem Altar den heiligen Leib und das Blut deines Sohnes empfangen, erfülle uns mit aller Gnade und allem Segen des Himmels."
    Was heißen soll: die Kirche (also die streitende Kirche hier auf Erden zusammen mit der triumphierenden Kirche im Himmel) als ganzes bringt das Messopfer (d.h. die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers) dar, mit Christus selbst als Hohempriester und Opfergabe zugleich. „Um den Tisch versammelt“ ist aber eine protestantische Gruppe, die des Abendmahls gedenkt. Die Kirche betet gemeinsam, wenn sich alle zusammen dem „Aufgang aus der Höhe“ (Lk 1,78), dem wiederkommenden Christus, zuwenden; „um den Tisch versammelt“ stehen Kinder verloren im Chorraum, während der Vorsteher der Gemeinde beim Beten zuschaut und andersrum.
  • Entsprechend definieren Original und Deutsches Messbuch das Verhältnis zwischen Gott und Sünder verschieden: „wir flehen deine Güte an“, wenn wir in unserer Ohnmacht und Verworfenheit vor dem Allmächtigen knieen und von seiner Gnade alles erwarten. „Höre unser Gebet“ klingt nach dem Chef, der seinem Sekretär eine Aufgabenliste übergibt: „Kümmern Sie sich darum“. 
  • Wen wundert es da, dass die Bitte im Deutschen Messbuch nichts mit der im Missale zu tun hat. Übersetzen geht anders.

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