Mittwoch, 17. April 2019

Berufung, den verdrehten Willen zu brechen

Zu der anscheinend offensichtlichen Verknüpfung zwischen
  • Pascha (= Vorübergang des Herrn, also dem ursprünglichen, dem Höhepunkt der Plagen über Ägypten): zur Befreiung seines Volkes aus Ägypten (= Böser) erschlug Gott jeden Erstgeborenen Ägyptens (Ex 12,29)
  • der (nur knapp vermiedenen) Opferung Isaaks (vgl. u.): zur Bestätigung des Bundes mit Abraham (= Böser?) fordert(?) Gott das Opfer von dessen (ehelich) Erstgeborenen
  • und dem Kreuzestod Christi: zur Befreiung seines Volkes (= Böser) aus der Sünde und zur Erneuerung des Bundes mit seinem (erweiterten) Ausgewählten Volk opfert Gott seinen eigenen Erstgeborenen (bzw. Einziggezeugten)
sagen die Orationes, die nach der Lesung aus Gen 22,1-19 in Oster- und Pfingstvigil (Tridentinisches Messbuch) bzw. in der Osternacht (aktuelles Messbuch) vorgesehen sind, zu meinem milden Erstaunen: gar nichts. Sie betonen mehr Aspekte, die in dieser Heiligen Nacht die Hauptrollen spielen, ohne dass ich sie gleich dem Text angesehen hätte.

Aber der Reihe nach:

Was zuvor geschah
Abraham hatte einen Vertrag mit dem Philister-König Abimelech geschlossen (Gen 21,27). Den Ort am Brunnen, um den sich die Notwendigkeit der Verhandlungen ergeben hatte und wo sie abgeschlossen wurden, nannte Abraham Beerscheba - „Schwurbrunnen“ „und rief dort den HERRN an unter dem Namen: Gott, der Ewige.“ [Ist die Einheitsübersetzung korrekt? Andere lesen das als: „rief den Namen des HERRN, des ewigen Gottes, an“] (Gen 21,33).
Jedenfalls: man vertrug sich so gut, dass Abraham „sich lange Zeit im Philisterland aufgehalten hatte“ (Gen 21,34). Da „führte Gott Abraham in Versuchung“ (Gen 22,1). [Spekulationen, was damit gemeint sein könnte, ganz am Ende.]

Was man mehr aus der Fußnote als aus dem Text erfährt ist, dass bei den Philistern Kindesopfer nicht unüblich waren. Jedenfalls verstand Abraham Gott so, dass der Sohn der Verheißung, also Isaak, an dessen Geburt in seinem hohen Alter Abraham nur so mühsam hatte glauben können, dass ihm allein schon dieser Glaube als Gerechtigkeit angerechnet wurde (Gen 15,6), geopfert werden sollte. Und er schickt sich in Gehorsam gegen den unverständlichen Willen Gottes an, genau das zu tun:

1. Szene:
10 Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.
11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
12 Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.
2. Szene:
15 Der Engel des HERRN rief Abraham zum zweiten Mal vom Himmel her zu
16 und sprach: Ich habe bei mir geschworen – Spruch des HERRN: Weil du das getan hast und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast,
17 will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen werden das Tor ihrer Feinde einnehmen.
18 Segnen werden sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.
19 Darauf kehrte Abraham zu seinen Jungknechten zurück. Sie machten sich auf und gingen miteinander nach Beerscheba. Abraham blieb in Beerscheba wohnen.
Die Kirche antwortet in der Osternacht im Gebet:
Deus, fidélium Pater summe, qui in toto orbe terrárum promissiónis tuæ fílios diffúsa adoptiónis grátia multíplicas: et per paschále sacraméntum, Abraham púerum tuum universárum, sicut jurásti, géntium éfficis patrem; da pópulis tuis digne ad grátiam tuæ vocatiónis introíre.
Gott, der Gläubigen höchster Vater, der du auf dem ganzen Erdkreis deiner Verheißung Kinder durch die ausgegossene Gnade der Anwahl* vermehrst und durch das österliche Sakrament Abraham, deinen Diener, wie du geschworen hast, zum Vater sämtlicher Nationen machst: bewillige deinen Völkern, würdig zur Gnade deiner Berufung zu gelangen.
[*Anwahl ist jetzt ein Stück-für-Stück Neologismus für Ad-option oder Annahme an Kindes Statt]

[Unwichtiges Detail: Der Text ist aus dem Alten Messbuch; 2002 gibt es dieselben Wörter (bis auf das letzte: intrare für introire, welche gleichbedeutend sind), aber in einer anderen Reihenfolge, warum auch immer.]

Kernpunkte:
  • Abraham hat die Prüfung bestanden und sich der an ihn ergangenen Verheißung würdig erwiesen, indem er Gott seinen Sohn nicht vorenthielt, und erhielt die größere Verheißung, Vater aller Völker zu werden.
  • Die Verheißung ist erfüllt, indem durch die Taufe tatsächlich aus allen Völkern Menschen zu Kindern Abrahams wurden, wie auch gesagt wird a) im Gebet nach der Ex-14-Lesung: „gewähre, dass zu Söhnen Abrahams und zu israelitischer Würde hindurchziehe die Fülle der ganzen Welt“, wobei hindurchziehen auf die Taufe bezogen ist, soll heißen: dass alle Welt getauft werde; und b) bei der Taufwassersegnung, in der es heißt: „Gott, der du Abrahams Söhne durch das Rote Meer auf trockenem Pfad durchziehen ließest, damit das Volk, von Pharaos Knechtschaft befreit, das Volk der Getauften präfiguriere“.
  • Der Umkehrschluss: wenn Abraham Vater aller Völker wird, werden die Getauften Kinder Abrahams, d.h. die Verheißung, das verheißene Erbe zu erlangen und im Gelobten Land zu wohnen, welche Abraham und seinen Söhnen galt, wird auf Getaufte aller Völker erweitert.
    Mit der Verheißung verbunden ist eine „Berufung“, die Aufforderung, Gottes Willen zu folgen. Wir beten, würdig zur Gnade der Berufung zu gelangen, d.h. um Gottes Beistand, angemessen auf die ergangene Berufung zu antworten und würdige Früchte zu bringen (vgl. die folgende Lesung Jes 4)
In der Pfingstvigil betete die Kirche:
Deus, qui in Abrahae famuli tui opere, humano generi obedientiae exempla praebuisti: concede nobis, et nostrae voluntatis pravitatem frangere, et tuorum praeceptorum rectitudinem in omnibus adimplere
Gott, der du im Werk deines Dieners Abraham dem Menschengeschlecht Beispiele des Gehorsams dargereicht hast: gewähre uns, sowohl die Verdrehtheit unseres Willens zu brechen als auch die Geradheit deiner Vorschriften in allem zu erfüllen.
Abraham hatte sein Leben in Ur aufgegeben, um Gottes Ruf zu folgen; nun ist er bereit, den Sohn der Verheißung zu opfern. Immer wieder gibt er im Gehorsam sein altes Leben weg für das Versprechen eines neuen Lebens. Damit wird er ein Beispiel für uns, weil wir in der Taufe die gleiche Berufung erhalten, wie der Hl. Basil sagt (PG 32, 127-130; Dienstag der Karwoche, Lesehore):
Wir ahmen Christi Tod nach, wenn wir mit ihm in der Taufe begraben werden. Wenn wir nach der Bedeutung dieser Art von Beerdigung fragen und welchen Vorteil wir davon erhoffen: es bedeutet zuerst einmal den vollständigen Bruch mit unserem vorherigen Lebenswandel, und unser Herr selbst sagte, dies könne nicht geschehen, wenn jemand nicht von neuem geboren werde. Anders gesagt, wir müssen ein neues Leben anfangen, und können dies nicht, ohne dem alten Leben ein Ende zu setzen. … Wir empfangen die rettende Taufe nur einmal, weil es nur einen Tod und eine Auferstehung zur Rettung der Welt gab, und die Taufe ist ihr Symbol.
Unbeantwortete Fragen
Es wird nicht geklärt, worin die Versuchung besteht: dass sich Abraham den Philistern assimiliert und geneigt ist, auch ein Kindesopfer zu bringen – d.h. a) seine Verheißung geringachtet? oder b) Gott auf die Probe stellt, ob er trotzdem sein Versprechen hält?
Oder darin, dass Gott so tut, als wolle er Isaak geopfert haben, um zu prüfen, ob Abraham Gott genügend fürchtet, um ihn mehr als seinen einzigen Sohn zu lieben (vgl. Mt 10,37; Lk 14,26)?

Im ersten Fall wäre das Ergebnis der Prüfung: Abraham, der sich sich lange Zeit im Philisterland [und eben nicht im Verheißenen Land, in das Gott ihn aus dem Land seiner Väter gerufen hatte (Gen 15,7)] aufgehalten hatte, kehrt nach Beerscheba zurück und bleibt dort wohnen. → Krise führt zur Entscheidung für Gott.
Im zweiten Fall wäre das Ergebnis: Abraham besteht den Test → Gott bekräftigt die Verheißung aus Gen 15,5 („Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“). Und erhöht mit dem Versprechen „Segnen werden sich …“ (Vers 18).

Die angestellten Überlegungen sprechen für die zweite Deutung; die Pfingstoratio klingt nun aber so, als hätte Abraham das Opfer gewollt und Gott musste ihn abhalten … Oder wollte Abraham was ganz anderes (im Philisterland wohnen bleiben z.B.) und sein Verdrehtheit musste gebrochen werden durch das Hin und Her Gottes??

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