Samstag, 20. April 2019

Wie sich der Charakter des Karfreitags verändert hat

Kurzer Vergleich von drei Karfreitagsliturgien:

1570 - Feria VI in Parasceve – Freitag vom Rüsttag*
(*Parasceve ist ein Fremdwort aus dem Griechischen, das Rüsttag heißt, und dann auch [weil der Rüsttag meistens für den Sabbat ist] Freitag; im Kirchenlatein ist speziell der Karfreitag gemeint. Feria VI ist der 6. Wochentag, heißt also auch Freitag)
Priester und Diener, mit schwarzen Paramenten bekleidet, ohne Leuchter und Weihrauch, ziehen zum Altar und beten vor ihm niedergeworfen eine Zeit lang. Inzwischen breiten Akolythen ein einziges Altartuch [normal waren drei] über den Altar. Nach dem Gebet steigt der Priester mit den Dienern zum Altar auf und küßt ihn in der Mitte. Dann tritt ein Lektor zur Verlesung aus den Propheten an die Stelle, wo man [sonst] die Epistel liest, und beginnt sie [die Lesung] ohne Titel [wie etwa „Lesung aus dem Buch XY“]. Der Priester liest die Lesung still am Altar.
Kein Wort drumherum, einfach direkt in den Text der Lesung.
Folgen zwei Lesungen (Hosea 6,1-6; Ex 12,1-11) jeweils mit Tractus, dazwischen das Gebet, das auch in der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag dran war:
Gott, von dem Judas die Strafe für seine Schuld und der Schächer den Lohn für sein Bekenntnis empfing, laß uns die Wirkung Deiner verzeihenden Huld erfahren, und wie unser Herr Jesus Christus in seinem Leiden jedem der beiden nach seinen Verdiensten verschieden vergolten hat, so befreie er uns von alter Verblendung und schenke uns die Gnade seiner Auferstehung.
Dann die Passion nach Johannes (Joh 18,1 – 19,42)
Dann beginnen sofort ohne irgendwas dazwischen („absolute“) die Großen Fürbitten.
Dann wieder: holt der Priester das schon an der hintersten Ecke des Altares vom Diakon bereitgehaltene Kreuz, trägt es in Etappen, bei denen es teilenthüllt wird, vor den Altar, während er die Antiphon beginnt „Ecce lignum Crucis, in quo salus mundi pependit“ - „Venite, adoremus“ (Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen – Kommt, lasst uns anbeten.)
Es folgt die Kreuzverehrung unter Gesang der Improperia und ggf. weiterer Antiphonen.
Das Allerheiligste wird vom Repositionsaltar geholt (in beiden Gestalten, übrigens) und in Prozession zum Altar gebracht (während der Hymnus Vexilla Regis prodeunt gesungen wird). Nach einer Auswahl von bei der Messe üblichen Gebeten (aber ohne Wandlung, „Missa sicca“ [trockene Messe], oder hier konkret „Missa praesanctificatorum“ [Messe der vorgeheiligten {Gaben}]) kommunziert der Priester. Nach der Purifikation ist die Liturgie vorbei:
Weder wird das Corpus tuum, Domine gesagt noch die Postcommunio noch das Placeat tibi, noch wird der Segen gegeben, sondern nach der Altarsverehrung verschwindet der Priester mit den Dienern.
Ende.

1955: Feria Sexta in Passione et Morte Domini – Freitag von Leiden und Tod des Herrn
Wichtigster Unterschied zur herkömmlichen Liturgie:
Sämtliche formalen und textlichen Bezüge auf eine Feier der heiligen Messe entfallen. Die frühere Form und Bezeichnung als Missa praesanctificatorum wird abgeschafft und durch „Liturgie vom Leiden und Sterben unseres Herrn“ ersetzt. Aus der schmerzhaft unvollständigen Messe wird ein selbständiger Gottesdienst mit inkorporierter Kommunionandacht.
Diese Umwidmung der Zeremonie weg von einer unvollständigen Messfeier wird konsequent durchgezogen. Wo die Offizianten früher Messgewänder – wenn auch in reduzierter Form – trugen, sind sie jetzt nur mit der Albe bekleidet. Der am Vortag völlig entkleidete Altar wird nicht bereits am Anfang der Zeremonie mit einem Altartuch bekleidet, sondern erst später zu Beginn der Großen Fürbitten. Das früher von Anfang an – wenn auch verhüllt – auf dem Altar stehende Kreuz wird erst später hereingetragen. Die nach der Prostration gebetete Oratio schließt nicht mit der zuvor nach Vorbild der Messfeier üblichen Langform, sondern mit einem schlichten „Per Christum Dominum nostrum. Amen“. Während des Vortrags der Lesungen bleiben die Offizianten an den Sedilien. Beim Vortrag der Passion unterbleiben alle früher üblichen Riten, die daraufhin deuteten, daß dieser Vortrag ganz oder teilweise die Rolle des Evangeliums in der Messfeier übernahm.
Im Anschluss an die Passion und vor dem Evangelium legen die Offizianten nicht die Messgewänder, sondern die für Segenszeremonien und Prozessionen üblichen Gewänder an – der Priester das Pluviale, Diakon und Subdiakon Dalmatik bzw. Tunika.
Und so fängt die Feier an:
Kleriker, Diener und Zelebrant erweisen dem Altar, wenn sie zu ihm gelangt sind, die Ehrbezeigung, Dann werfen sich Zelebrant und heilige Diener, aber nicht die Messdiener, auf das Gesicht nieder, die übrigen gehen zu den Sedilien im Chor, und dort bleibten sie, auf Knien und tief verneigt: und alle beten eine Zeitlang in Stille. Auf ein Zeichen richten sich alle auf, bleiben aber auf den Knien, außer dem Zelebranten, der vor der Stufe des Altars stehend mit zusammengelegten Händen und im Alltagstone folgendes Gebet spricht:
Gebet 1
Deus, qui peccáti véteris hereditáriam mortem, in qua posteritátis genus omne succésserat, Christi Fílii tui, Dómini nostri, passióne solvísti, da, ut confórmes eídem facti, sicut imáginem terréni hóminis natúræ necessitáte portávimus, ita imáginem cæléstis grátiæ sanctificatióne portémus.
Gott, der du der alten Sünde erblichen Tod, in den die ganze spätere Generation nachfolgte, durch Christi, deines Sohnes, unseres Herren Leiden aufgelöst hast, gib, daß wir, ihm gleichförmig gemacht, so wie wir das Bild der Natur des Menschen nach der irdischen Notwendigkeit getragen haben, so auch das Bild der himmlischen Gnade nach der Heiligung tragen.
Es folgen die Lesungen usw. bis zur Passion und den großen Fürbitten einschließlich ähnlich wie früher.
Der Diakon holt das Kreuz aus der Sakristei, in Prozession mit zwei Akolythen mit Leuchtern. Das Kreuz wird auch hier unter Gesang des Ecce lignum Crucis enthüllt, allerdings wird das Vorgehen auf etwa zwei Seiten beschrieben, während im alten Messbuch ca. ein Drittel Seite ausreichte (bei größerer Schrift), ohne dass ich etwas von sittlichem Nährwert gefunden hätte (außer dass sich früher nach dem Venite adoremus alle auf den Boden niederwarfen und anbeteten, ab 1955 dann nur noch Hinknieen vorgesehen war).
Es folgen Kreuzverehrung und Improperia. Zur Kommunionfeier holt der Diakon flugs die Pyxis mit dem Allerheiligsten (die Schola singt dazu drei kurze Antiphonen). Nach einer (ganz kleinen) Auswahl von Gebeten aus der Messe (hauptsächlich dem Vater unser, von allen gemeinsam gesprochen) kommuniziert der Priester.
Dann Kommunionausteilung an alle: Schuldbekenntnis (des Diakons) und Absolution, der Priester zeigt dem Volk das Allerheiligste („Seht das Lamm Gottes …“) und teilt die Kommunion aus.
Zum Schluss folgen drei Gebete, darunter ein Segensgebet über das Volk (und genau das gab es früher an Karfreitag nicht, weil alles, was im Jahreskreis die Liturgie ausmacht, während der Fastenzeit nach und nach gestrichen wurde und wir Karfreitag nackt und sprachlos unter dem Kreuz stehen):
Gebet 2
Super populum tuum, quaesumus, Domine, qui passionem et mortem Filii tui devota mente recoluit, benedictio copiosa descendat, indulgentia veniat, consolatio tribuatur, fides sancta succrescat, redemptio sempiterna firmetur.
Über dein Volk, bitten wir, Herr, das Leiden und Tod deines Sohnes mit andächtigen Geist betrachtet hat, steige reicher Segen herab, komme Nachlaß, werde zuteil Trost, heiliger Glaube wachse heran, die ewige Erlösung werde bestätigt.
[Der Sinn der Hervorhebungen wird später klar.]
Gebet 3
Omnipotens et misericors Deus, qui Christi tui beata passione et morte nos reparasti: conserva in nobis operam misericordiae tuae; ut, huius mysterii participatione, perpetua devotione vivamus.
Allmächtiger und barmherziger Gott, der du durch deines Gesalbten seliges Leiden und Tod uns wiederhergestellt hast, bewahre in uns die Hilfe deiner Barmherzigkeit, damit wir durch die Teilnahme an seinem Geheimnis in immerwährender Andacht leben.
Gebet 4
Reminiscere miserationum tuarum, Domine, et famulos tuos aeterna protectione sanctifica, pro quibus Christus, Filius tuus, per suum cruorem, instituit paschale mysterium.
Gedenke deiner Erbarmungen, Herr, und heilige deine Diener mit ewigem Schutz, für die Christus, dein Sohn, durch sein Blut das österliche Geheimnis eingesetzt hat.
Zelebrant und Diener kehren in die Sakristei zurück.

Aktuell: FERIA VI IN PASSIONE DOMINI – Freitag vom Leiden des Herrn
Den generellen Ablauf möchte ich als bekannt voraussetzen. Er ist auch nicht so verschieden von dem von 1955, außer das andere Lesungen vorkommen (Jes 52, 13 - 53, 12; Hebr 4, 14-16; 5, 7-9) und kein Gebet zwischen den Lesungen mehr üblich ist (sondern Zwischengesang und „Ruf vor dem Evangelium“).
Anfangen tut es aber mit einem „Lasset uns beten“ (das früher nicht vorgesehen war, wegen Schweigen unter dem Kreuz und so) und dann einem Eröffnungsgebet, wo man das Gebet 1 von 1955 nehmen kann, oder das Gebet 4 (das 1955 eines der drei Gebete am Schluss war). Außerdem ist zum Vergleich von Original und Fälschung in blau eine ziemlich wörtliche Übersetzung des Missale Romanum und in schwarz der Text aus dem Deutschen Messbuch gegeben.
Eröffnungsgebet
Gebet 4
Reminíscere miseratiónum tuárum, Dómine, et fámulos tuos ætérna protectióne sanctífica, pro quibus Christus, Fílius tuus, per suum cruórem instítuit paschále mystérium.
Gedenke deiner Erbarmungen, Herr, und heilige deine Diener mit ewigem Schutz, für die Christus, dein Sohn, durch sein Blut das österliche Geheimnis eingesetzt hat.
Gedenke, Herr, der großen Taten, die dein Erbarmen gewirkt hat. Schütze und heilige deine Diener, für die dein Sohn Jesus Christus sein Blut vergossen und das österliche Geheimnis eingesetzt hat.
oder

 Gebet 1
Deus, qui peccáti véteris hereditáriam mortem, in qua posteritátis genus omne succésserat, Christi Fílii tui, Dómini nostri, passióne solvísti, da, ut confórmes eídem facti, sicut imáginem terréni hóminis natúræ necessitáte portávimus, ita imáginem cæléstis grátiæ sanctificatióne portémus.
Gott, der du der alten Sünde erblichen Tod, in den die ganze spätere Generation nachfolgte, durch Christi, deines Sohnes, unseres Herren Leiden aufgelöst hast, gib, daß wir, ihm gleichförmig gemacht, so wie wir das Bild der Natur des Menschen nach der irdischen Notwendigkeit getragen haben, so auch das Bild der himmlischen Gnade nach der Heiligung tragen.
Allmächtiger, ewiger Gott, durch das Leiden deines Sohnes hast du den Tod vernichtet, der vom ersten Menschen auf alle Geschlechter übergegangen ist. Nach dem Gesetz der Natur tragen wir das Abbild des ersten Adam an uns; hilf uns durch deine Gnade, das Bild des neuen Adam in uns auszuprägen und Christus ähnlich zu werden.
Nach der Kommunion wird ein weiteres der drei Abschlussgebete von 1955 genommen, allerdings mit nicht unwesentlichen Änderungen (markiert), dass nämlich das den Tod begleitende „Leiden“ im Gebet gestrichen und durch die „Auferstehung“ ersetzt wurde [Karfreitag pur in einer Hoffnungslosigkeit, die auszuhalten der moderne Mensch anscheinend für nicht mehr in der Lage zu sein gehalten wird, wird nicht zugemutet], und die opera (Hilfen [der Barmherzigkeit]), die unser Mitwirken noch erforderten, wurde durch opus (Werk), das Gott verrichtet ersetzt – Papa wird’s schon richten, wie der Sänger sagt, d.h. Gott hat gewirkt und der Mensch ist raus, und das lästige Leiden, dass uns zu einer Antwort (z.B. dass wir auch unser Leiden geduldig ertragen), auffordert, eliminiert. Kein Karfreitag scheint so dunkel zu sein, dass neuerdings nicht schon ein Ostern hineinscheint.
Gebet 3
Omnípotens sempitérne Deus, qui nos Christi tui beáta morte et resurrectióne reparásti, consérva in nobis opus misericórdiæ tuæ, ut huius mystérii participatióne perpétua devotióne vivámus.
Allmächtiger, ewiger Gott, der du uns durch deines Gesalbten seligen Tod und Auferstehung wiederhergestellt hast, bewahre in uns das Werk deiner Barmherzigkeit, damit wir durch die Teilnahme an seinem Geheimnis in immerwährender Andacht leben.
Allmächtiger, ewiger Gott, durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes hast du uns das neue Leben geschenkt. Bewahre in uns, was deine Barmherzigkeit gewirkt hat, und gib uns durch den Empfang dieses Sakramentes die Kraft, dir treu zu dienen.
Zum Abschluss bleibt noch ein Segensgebet über das Volk. Aus dem Gebet wurde die „devota mente“ (andächtiger Geist, mit dem die Liturgie begangen wurde, vgl. o.) gestrichen – so viel Ehrlichkeit muss sein.
Gebet 2
Super pópulum tuum, quǽsumus, Dómine, qui mortem Fílii tui in spe suæ resurrectiónis recóluit, benedíctio copiósa descéndat, indulgéntia véniat, consolátio tribuátur, fides sancta succréscat, redémptio sempitérna firmétur.
Über dein Volk, bitten wir, Herr, das den Tod deines Sohnes in Hoffnung auf seine Auferstehung betrachtet hat, steige reicher Segen herab, komme Nachlaß, werde zuteil Trost, heiliger Glaube wachse heran, die ewige Erlösung werde bestätigt.
Herr, unser Gott, reicher Segen komme herab auf dein Volk, das den Tod deines Sohnes gefeiert hat und die Auferstehung erwartet. Schenke ihm Verzeihung und Trost, Wachstum im Glauben und die ewige Erlösung.

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