Wenn ich glaubte, daß das höchste Gut die Freude wäre, würde
ich nicht daran zweifeln, daß man versuchen müßte, um welchen Preis auch immer
fröhlich zu werden, und ich würde die Roheit derer billigen, die ihren Kummer
in Wein ertränken oder ihn mit Tabak betäuben.
Ich unterscheide
aber zwischen dem höchsten Gut, das
in der Ausübung der Tugend (oder - was
dasselbe ist – im Besitz aller Güter, deren Erwerb von unserem freien Willen
abhängt, besteht), und der aus diesem
Erwerb folgenden Befriedigung des Geistes.
Da ich aber sehe, daß es eine größere Vollkommenheit bedeutet, die Wahrheit zu kennen, auch wenn sie zu unserem Nachteil ist, als sie
nicht zu kennen, muß ich gestehen, daß es mehr wert ist, weniger froh zu
sein und dafür mehr Kenntnis zu besitzen. So hat man auch nicht immer, wenn man
am fröhlichsten ist, den zufriedensten Geist; die großen Freuden sind im Gegenteil
gewöhnlich düster und ernsthaft, und nur die mittelmäßigen und vorübergehenden
sind von Gelächter begleitet. Daher
billige ich es nicht, daß man sich mit dem Ergötzen an falschen Einbildungen zu
täuschen versuche; denn alles daraus hervorgehende Vergnügen kann nur die
Oberfläche der Seele berühren, die indessen eine innere Bitternis empfindet, wenn
sie seiner Falschheit gewahr wird.
(Descartes an Elisabeth von der Pfalz, 6. Oktober 1645)
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