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Caspar Hartzheim, SJ (1724):
[…] Derart wurde das Gebet nach Osten [ad Orientem = zum Sonnenaufgang] von den ersten Christen lange Zeit beobachtet. Origines, Justinus und Basilios sagten, es sei Apostolische Tradition, nach Osten zu beten. Aber aus welchen Gründen waren sie überzeugt, so zu beten?
- Weil im Osten das Paradies lag. Diese Ursache geben der Hl. Chrysostomos und Theodoretus an; wenn nämlich die in Babylon gefangenen Juden nach Jerusalem gewendet beteten, nicht ohne Schmerz über die Verbannung und mit Verlangen nach Rückkehr; wer von allen Nachkommen Adams würde sich fehlerhaft dorthin wenden, wohin man oft zurückblickt, woraus man vertrieben wurde und nach dem, das man als Vaterland verlor, während man betet, sich sehnt?
- Weil Christus so ans Kreuz geschlagen war, dass er das Gesicht von Jerusalem weggewendet nach Westen blickte, gleich wie die aufgehende Sonne; deshalb hat sich die erste Christengeneration nach Osten gewendet, während sie betete, damit sie - das Gesicht des Gekreuzigten immer vor Augen - angeblickt zu werden schien. Zeuge dafür ist Johannes Damascenus: ‚Während der Herr am Kreuze hing, blickte er nach Westen, und in seinem Namen beten wir so an, dass wir von ihm angesehen werden.’ Daher rührt die alte Sitte, die Kirchen nach Osten ausgerichtet zu bauen, in welchen das Bild des Gekreuzigten nach Westen blickt, so dass die Betenden mit Notwendigkeit nach Osten schauen.
- Der so beschaffene Bau legte die christliche Ausrichtung nach Osten fest, vom Fürst der Finsternis abgewandt. Daher sagt Ambrosius von denen, die in die Mysterien eingeführt werden: ‚Nach Osten sollst du dich wenden: wer nämlich dem Teufel entsagt, wendet sich Christus zu, den er mit geradem Blick anschaut.’ Zum gleichen Zweck wurde der Täufling, damit er dem Teufel entsage, nach Westen gedreht aufgestellt, und sprach in dieser Haltung die Worte der Entsagung. Und gleichfalls wenn er später Christus den Herrn bekennen sollte, nach Osten gedreht, machte er es mit ebensovielen Stellungswechseln(?).
- Weil wir mit der frühesten Sonne die Wohltaten Gottes erfahren, die gleichsam jeden Tag gleichzeitig uns aufgehen, diese [Wohltaten], damit wir mit immer neuer Liebe der dankbaren Seele antworten, oder jene [Sonne], die uns in der körperlichen Welt ermahnen kann, wenn wir die Sonne erblicken. Daher ermahnt Weih 16, 28: ‚Denn man muss der Sonne zuvorkommen zu deinem Lob, und dem Aufgang des Licht, dich anzubeten’; denn wie die aufsteigende Sonne größer scheint, ebenso milder und gnädiger, weil sie ja erlaubt, sie mit festem Blick anzuschauen (wenn sie aber ein kleines Bißchen höher gestiegen ist, hindert sie es gänzlich und verletzt die menschlichen Augen); so verspricht die himmlische Weisheit jenen mehr Gnade und Gunst, die für sie in der Morgendämmerung wachen.
- Weil wir von den Schriften gelehrt werden, dass Ort und Name des Aufgangs von Christus besonders geliebt und bevorzugt wurden. ‚Stehen werden seine Füße an jenem Tag auf dem Ölberg, der Jerusalem gegenüber liegt im Osten.’ (Zach 14, 4) Auch wird die zweite Ankunft Christi von Osten erwartet, nach Mt. 24, 27: ‚ Denn wie der Blitz im Osten aufflammt …, so wird die Ankunft des Menschensohnes sein.’ In Lk 1, 78 wird Christus selbst ‚Aufgang aus der Höhe’ genannt, der uns das Licht der Wahrheit bringt. Daher sagt der Hl. Clemens: ‚Jenen, die in Unwissenheit wandeln, ist aufgegangen der Tag der Erkenntnis der Wahrheit; aus diesem Grund geschehen die Gebete Richtung Sonnenaufgang.’
- Dr. Thomas [von Aquin] führt an: wegen des Hinweises der Göttlichen Majestät, die uns in der Bewegung des Himmels offenbart wird, die von Osten erfolgt. Zu diesem Grund passt, was Justinus der Martyrer sagt: ‚Weil wir sie am meisten Ehren und zur Ehre Gottes reservieren; nun ist nach der Menschen Meinung der Ort des Sonnenaufgangs ehrbarer als die übrigen Weltteile. Deswegen blicken zur Gebetszeit alle nach Osten; gleichwie mit der rechten Hand im Namen Christi sich bezeichnen jene, die dieses Zeichen [den Segen] ausführen: weil sie als ehrbarer gilt als die Linke. So ist auch der Osten gleichsam als der ehrbarere Teil der Welt zur Gebetsrichtung bestimmt, und zwar von den heiligen Aposteln.’
Fromm und heilig waren diese Absichten, welche die ersten Christen bewegten, damit, während sie der Kirchen entbehrten und jenen Ort des Himmels erwählten, nicht klein werde der Anreiz zur Ehrfurcht*.
* oder wie
Christian Stocks in anderem Zusammenhang
pietatis incentivum übersetzt: ‚der recht lebendige Zunder feuriger Andacht’ 😍
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