Donnerstag, 18. April 2019

Brennt in der Osternacht das Fegefeuer? / ergänzt

In Verfolg der Bemühungen um die Einordnung der alttestamentlichen Lesungen in den Rahmen der Osternacht stellt die Lesung aus dem vierten Kapitel des Propheten Jesaja ein rechtes Hindernis dar.
Sie ist einerseits wichtig, wie man daran erkennt, dass sie zu den Lesungen gehört, die nach der alten Ordnung sowohl an Ostern als auch an Pfingsten gelesen wurden, und (was fast noch aussagekräftiger ist) in der Reform von 1955, bei der ¾ der Lesungen gestrichen wurden, als eine von vier AT-Lesungen in der Osternacht erhalten geblieben ist.
Andererseits ist das Kapitel schwer verständlich, weshalb es 1970 nicht nur aus der Osternacht, sondern fast* vollständig aus dem Lektionar gestrichen wurde.
[* Wenn im Lesejahr A die eigentlich für den Montag der ersten Adventwoche vorgesehene Lesung Jes 2,15 schon am Sonntag dran war, kann man alternativ Jes 4,2-6 nehmen.]

Man kann es sich kurz angucken und die prophetischen Anspielungen einzeln auseinanderklamüsern. Text nach der Einheitsübersetzung 2016:
1 An jenem Tag klammern sich sieben Frauen an einen einzigen Mann und sagen: Wir wollen unser eigenes Brot essen und uns selber kleiden, nur dein Name sei über uns ausgerufen, nimm die Schande von uns!
2 An jenem Tag wird der Spross des HERRN zur Zierde und zur Herrlichkeit sein und die Frucht des Landes zum Stolz und zum Schmuck für die Entronnenen Israels.
3 Dann wird der Rest in Zion, und wer in Jerusalem noch übrig ist, heilig genannt werden, jeder, der zum Leben eingeschrieben ist in Jerusalem.
4 Wenn der Herr den Kot der Töchter Zions abgewaschen und die Bluttaten Jerusalems aus ihrer Mitte durch den Sturm des Gerichts und den Sturm der Verwüstung weggespült hat,
5 dann erschafft der HERR über der ganzen Stätte des Berges Zion und über ihren Versammlungen eine Wolke bei Tag und Rauch und eine strahlende Feuerflamme bei Nacht. Denn über der ganzen Herrlichkeit ist eine Decke.
6 Und eine Hütte wird bei Tag Schatten spenden vor der Hitze und sie dient als Zuflucht und Versteck vor Unwetter und Regen.
Vers 1 wurde in der Lesung für die Osternacht nach der Ordnung von 1955 gestrichen, da er scheinbar nicht zum Rest passt. [Daher die abweichende Farbgebung.] Er ist quasi eine Fortsetzung des vorherigen Kapitels, dessen letzter Abschnitt in meiner Ausgabe „Gericht über die Töchter Zions“ überschrieben ist. Dort werden die Gottvergessenenheit und die Ungerechtigkeit in der Verwaltung Jerusalems und Judas als Schöntuerei der „Töchter Zions“ beschrieben, die ein Ende findet.
Hier, im nächsten Kapitel, wird dem ganzen eine positive Wendung gegeben („Reue“), d.h. sieben Frauen (sieben steht im Hebräischen auch für Fülle, also alle) wollen einen Mann (also genau das Gegenteil der Schöntuerei im letzten Kapitel), und das nicht als reguläre Heirat mit Unterhalt und allem, sondern nur noch zur Schandentilgung [wie der verschwenderische Sohn nicht mehr Sohn, sondern nur noch Tagelöhner sein will (Lk 15,19)].

Zum Ausdruck „Tochter Zion“ wird gelehrt:
Zion ist ein „personifizierter Stadttitel“ für Jerusalem, Tochter Zion ein „Heilstitel des jüdischen Volkes“, dem „eine eigene metaphorische Qualität anhaftet“ und der „einen spezifischen theologischen Aussagewillen erkennen lässt“. „Die Belege für die Personifikation beschränken sich … auf drei Textsorten: … Texte, die von der Klage geprägt sind. Hier ist Jerusalem leidendes Kriegsopfer, Witwe und verlassene Mutter. [passt hier, vgl. Jes 3 vorher] Zum anderen handelt es sich um Texte, in denen die Stadt als Abtrünnige, Hure und Ehebrecherin Adressatin von Anklagen ist [passt auch]. Schließlich findet sich eine Reihe von Texten, die der Heilsankündigung zuzurechnen sind [das ist die hier betrachtete Perikope]“

Erstaunlicherweise wird in dem zitierten Artikel auf viele AT-Stellen eingegangen, nicht aber auf Jes 4, vermutlich, weil die Töchter hier Plural sind. Ich würde sagen, die Bevölkerung ist hier keine Einheit (eine Tochter), sondern wird in die Bewohner (Töchter) aufgeteilt, von denen nur ein heiliger Rest (Vers 3) übrigbleibt.

Vers 2: Der „Spross des HERRN wird zur Zierde und zur Herrlichkeit“. Erinnert 1. an Texte wie
Jer 23,5f.
23/5 Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da werde ich dem David einen gerechten Sproß erwecken. Der wird als König regieren und verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit im Land üben. 23/6 In seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Der HERR, unsere Gerechtigkeit.
oder Jer 33,15f.
33/15 In diesen Tagen und zu dieser Zeit werde ich dem David einen Sproß der Gerechtigkeit hervorsprossen lassen, der wird Recht und Gerechtigkeit üben im Land. 33/16 In jenen Tagen wird Juda gerettet, und Jerusalem wird in Sicherheit wohnen. Und das wird [sein Name] sein, mit dem man es benennt: Der HERR, unsere Gerechtigkeit.
Nur das hier nicht ein Sproß Davids, sondern des Herrn, gemeint ist, der gleichzeitig „Frucht des Landes“ ist. Hm, jemand der Sohn Gottes und ein Mensch aus Israel ist ...

Vereinfachend wird hier angenommen, es handele sich um einen Hinweis auf den Messias, der den im Text beschriebenen Umschwung einleitet, wobei natürlich Beschreibungen wie „Herrlichkeit“ und „Zierde“ und „Stolz“ und „Schmuck“ nicht unbedingt auf das erste Kommen des Heilands im Fleische hindeuten.

Vers 3: Nach diesen Ereignissen sind die Bösen vertilgt, der Rest ist heilig.
Das ist ja jetzt auch noch nicht vollständig eingetreten. Da aber – im Lichte des Neuen Testaments gelesen – Jerusalem für die Kirche steht [und sich die Anspielung auf den Messias in Vers 2 also auf die zweite Ankunft „in den Herzen“ beziehen könnte] und sich in der Osternacht alles um die Taufe dreht – ist wohl gemeint, dass die Getauften der Heilige Rest sind?

Oder handelt es sich eher um eine endzeitliche Vision, das Kommen des Heilands in Herrlichkeit zum Gericht, wie der folgende Vers vermuten lässt?

Vers 4: Der „Kot der Töchter Zions [wird] abgewaschen“ „durch den Sturm des Gerichts und den Sturm der Verwüstung“, wie die Einheitsübersetzung verstehen will. Ich persönlich [aber was heißt das schon] sehe nicht, warum man hier „Ruach“ anders als sonst immer („Geist“) auffassen muss. Zum Vergleich folgen ein paar Verständnisalternativen:
  • Luther 2017: „durch den Geist des Rechts und den Geist der Läuterung“
  • Elberfelder: „durch Geist des Gerichts und durch den Geist des Ausrottens (oder Niederbrennens oder Säuberns)“
  • Hoffnung für alle: „durch seinen Geist, der Gericht hält und wie ein Feuer brennt,“
  • Schlachter 2000: „durch den Geist des Gerichts und den Geist der Vertilgung“
  • Neue evangelistische Übersetzung: „durch den Sturm von Gericht und Läuterung“
  • Zürcher Bibel 1942: „durch den Sturm des Gerichts und den Sturm der Vertilgung“
  • Riessler 1957: „durch des Gerichtes Sturmflut und durch Feuerguß“
  • Pattloch 1962: „durch den Sturm des Gerichts und den Sturm der Verwüstung“
  • Septuaginta: „durch den Geist des Gerichts und den Geist des Verbrennens“
  • Vulgata: wie Septuaginta (oder Verbrennen = Leidenschaft?)
Das Gericht ist klar genug. Das „abspülen“ passt zu „Sturm“ genausowenig wie zu „Geist“. (Außer dass die Wurzel von abspülen [dawach] in hebräischer Schrift fast genauso aussieht wie Ruach). Ich geh mit Geist.

Und warum in der Osternacht eigentlich nicht den Geist des Verbrennens, wie in Num 11/1:
Und es geschah, als das Volk sich in Klagen erging, da war es böse in den Ohren des HERRN. Und als der HERR es hörte, da erglühte sein Zorn, und ein Feuer des HERRN brannte unter ihnen und fraß am Rand des Lagers.
Das Feuer des Gerichts wäre dann aber keines der Vernichtung, Ausrottung oder Vertilgung, sondern, wie einige haben, der Läuterung, was total sinnvoll ist, weil ja der Kot abgewaschen wird, und nicht ein (weiterer) Teil der Töchter Zions ausgerottet.

Vers 5: Gott ist in ihrer Mitte als Wolke bei Tag / Feuer bei Nacht, genau wie bei der Wüstenwanderung (vgl. Ex-14-Lesung).

Vers 6: Die „Hütte“ ist im Original „Sukkot“, das ist „Laubhütte“, in denen Israel bei der Wüstenwanderung wohnte, und das Laubhüttenfest, zu dem erläutert wird (von einer Quelle, die beim copy-pasten verloren gegangen ist 😖):
Nach dem Exil wird Sukkot zu einem historischen Fest, das mit der Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten begründet wird und das Wohnen in Laubhütten während der Festzeit vorschreibt.
Nach dem Propheten Sacharja (Sach 14,16-19) wird Sukkot im messianischen Zeitalter ein universelles Fest sein, zu dem alle Nationen nach Jerusalem pilgern werden.
Hier ist also wieder ein messianischer Hinweis, und ein Hinweis auf einen Übergangszustand, denn es wird ja nicht auf das Gelobte Land, sondern auf die Wüstenwanderung angespielt.

Und da interpretiere ich wild: ein Zwischenzustand, wo der Kot abgewaschen wird durch Gericht und Verbrennen, nachdem der Messias kam und Gott in der Mitte der Kirche wohnt --- da muss es sich doch um das Fegefeuer handeln!?

Was aber sagt der Kontext der Osternacht? Der Tractus aus Jes 5,1-2 ist die direkte Fortsetzung der Lesung [Jesaja Kapitel 4 hat nur die 6 Verse]:

Tractus
1 Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe.
2 Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben.
Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb eine Kelter in ihm aus. Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel
[Der farblich markierte Text steht im Tractus, aber nicht in der Bibel.]

Die Orationes gehen auf diesen Hinweis mit dem Weinberg dankbarer ein:

Oratio in der Osternacht
Deus, qui in omnibus Ecclesiae tuae filiis, sanctorum prophetarum voce manifestasti, in omni loco dominationis tuae, satorem te bonorum seminum et electorum palmitum esse cultorem: tribue populis tuis, qui et vinearum apud te nomine censentur, et segetum; ut, spinarum et tribulorum squalore resecato, digna efficiantur fruge foecundi
Gott, der du allen Kindern deiner Kirche durch die Stimme der heiligen Propheten verkünden ließest, dass du an allen Orten deiner Herrschaft Sämann guten Samens und Pflanzer erlesener Weinstöcke bist: gewähre deinen Völkern, die dir als Weingärten und Saatfelder gelten: dass, nachdem der Schmutz der Dornen und Burzeldorne zurückgeschnitten ist, sie fruchtbar würdige Früchte hervorbringen.
[Jetzt wissen wir ja, dass der Sämann guten Samens den Lolch aus dem untergejubelten Samen nicht ausreissen ließ bis zur Ernte (Mt 13,24-30). Wieder ein Hinweis auf das Fegefeuer?]

Zu den Burzeldornen: das lateinische tribulus ist ein Fremdwort aus dem Griechischen, wo es allgemein „stacheliges Unkraut“ heißt; normalerweise wird tribulus gerne frei als Distel übersetzt) [z.B. nach dem Sündenfall in Gen 3,18: „… so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; 3/18 und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen …“ oder auch Mt 7,16: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen eine Traube oder von Disteln Feigen?“ oder Hebr 6,7f.: „6/7 Denn ein Land, das den häufig darauf kommenden Regen trinkt und nützliches Kraut hervorbringt für diejenigen, um derentwillen es auch bebaut wird, empfängt Segen von Gott; 6/8 wenn es aber Dornen und Disteln hervorbringt, so ist es unbrauchbar und dem Fluch nahe, der am Ende zur Verbrennung führt.“
[ah, wieder das Verbrennen]

[Unwichtiges Detail: für zurückgeschnitten (oder beseitigt) steht „resecato“, was italienisch ist (die Form wird gebildet, als ob resecare ein regelmäßiges Verb wäre), korrektes Latein wäre resecto]

Das Gebet klingt eigentlich weniger endzeitlich. Eigentlich mehr so, als bete die Kirche besser zu fruchten, nachdem der Weinberg der Kirche gereinigt wurde.

Wobei unklar ist, wie das mit der Osternacht zusammenhängt, da zum einen die Taufe als Reinigung der neuen Glieder und zum anderen Tod und Auferstehung D.N.I.C. zur Erlösung der Menschheit [die sich im Gericht als hilfreich erweisen wird, wenn man bis dahin angemessen auf die Gnade Gottes geantwortet hat] vorkommen, bisher aber nicht eine zwischenzeitliche Reinigung.

Oratio in der Pfingstvigil:
Omnipotens sempiterne Deus, qui per unicum Filium tuum, Ecclesiae tuae demonstrasti te esse cultorem, omnem palmitem, fructum in eodem Christo tuo, qui vera vitis est, afferentem, clementer excolens, ut fructus afferat ampliores: fidelibus tuis, quos velut vineam ex Aegypto per fontem baptismi transtulisti, nulla peccatorum spinae praevaleant; ut Spiritus tui sanctificatione muniti, perpetua fruge ditentur
Allmächtiger ewiger Gott, der du durch deinen einzigen Sohn deiner Kirche gezeigt hast, dass du der Anbauer des ganzen Weinstocks, der Frucht in deinem besagten Christus, welcher die wahre Rebe ist, bringt, bist, den du sanft ausputzt, dass er reichere Frucht bringe: gegen deine Gläubigen, die du wie einen Weinstock aus Ägypten durch die Quelle der Taufe hinübergetragen hast, mögen die Dornen der Sünden in nichts die Oberhand behalten, dass sie [die Gläubigen], durch die Heiligung deines Geistes bekräftigt, durch die ewige Frucht bereichert werden.
Das sieht fast so aus, als hätte jemand alle Bibelverse, in denen etwas mit Weinberg/-stock/-rebe vorkam, zusammengestoppelt. Kommt aber auch irgendwie darauf hinaus, dass Gott die trockenen Reben abschneiden möge, aber doch so, dass wir die Sünden besiegen und die ewige Frucht (also das Himmelreich) erlangen mögen.

Wenn man dem „sanft ausputzend“ allerdings Joh 15/2 entgegensetzt: „Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, daß sie mehr Frucht bringe.“ wird hier noch ein erster Teil betont, der das Wegnehmen (und ins Feuer werfen, Joh 15,6) beinhaltet.

Möge also, lese ich aus Jes 4, der Allmächtige uns vor dem Feuer der Hölle verschonen und gnädig Zugang zum Fegefeuer gewähren, dass wir nach abgebüßter zeitlicher Strafe uns an der Feuersäule seiner Gegenwart zu erfreuen zugelassen werden.



Ergänzung
Hier hätten wir ein Beispiel, wie man auf beiden Augen blind sein kann.
Zum einem wunderte ich mich bei der Oratio nach der Ex-14-Lesung

Gott, der du die [Bedeutung der] in den Vorzeiten vollbrachten Wunder durch das Licht des Neuen Testamentes offenbart hast: dass sowohl das Rote Meer als Symbol der heiligen Quelle [=des Taufbrunnens] sich zeigt als auch das aus der Knechtschaft befreite Volk die Sakramente der Christenheit darstellt …

dass die Sakramente im Plural stehen, und glaubte, es läge daran, dass diese spezielle Oratio an Pfingsten gebetet werde, oder daran, dass die Erwachsenen bei der Taufe gleich gefirmt werden.
Zum anderen habe ich hier einen „Heiligen Rest“, der durch den Messias gerettet wurde, der „durch den Geist des Gerichts und durch den Geist der Läuterung“ von Schmutz gereinigt wird, während Gott in ihrer Mitte ist.
Und sehe nicht, dass es ein Sakrament gibt, das der Beschreibung der Jes-4-Lesung exakt entspricht.
Möchte daher als Alternative zur Fegefeuer-Interpretation nachtragen, dass in der hier besprochenen Perikope möglicherweise die Beichte beschrieben wird, die möglich wurde, weil DNIC durch sein Leiden, Kreuz und Auferstehung die Erbsünde getilgt und uns den Weg zu Nachlass, Vergebung und Verzeihung unserer Sünden eröffnet hat.
 

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