Donnerstag, 18. April 2019

Das Lied vom demütigenden Strafgericht

Die Lesung aus Deut 31 ähnelt der aus Jes 4 insofern, als sie seit spätestens 1570 für Oster- und Pfingstvigil vorgesehen war, sich 1955 als eine von nur vier Lesungen in der Osternacht hielt und 1970 komplett aus dem Lektionar verschwand.

Worum geht es?
Vorgeschichte in Deut 31
10 In jedem siebten Jahr, in einer der Festzeiten des Brachjahres, beim Laubhüttenfest,
11 wenn ganz Israel zusammenkommt, um an der Stätte, die der HERR erwählen wird, vor dem Angesicht des HERRN, deines Gottes, zu erscheinen, sollst du diese Weisung vor ganz Israel laut vortragen.
14 Der HERR sagte zu Mose: Sieh, deine Zeit ist gekommen: Du wirst sterben.
16 Und der HERR sagte zu Mose: Sieh, du wirst jetzt bald zu deinen Vätern gebettet werden. Dann wird dieses Volk sich erheben … und meinen Bund brechen
19 Doch jetzt schreibt dieses Lied auf! Lehre es die Israeliten! Lass es sie auswendig lernen, damit dieses Lied mein Zeuge gegen die Israeliten werde!
Lesung
22 An jenem Tag schrieb Mose dieses Lied auf und lehrte es die Israeliten.
23 Der HERR aber beauftragte Josua, den Sohn Nuns, und sagte: Empfange Vollmacht und Kraft: Du sollst die Israeliten in das Land führen, das ich ihnen mit einem Schwur versprochen habe. Ich werde bei dir sein.
24 Als Mose damit zu Ende war, den Text dieser Weisung in eine Urkunde einzutragen, ohne irgendetwas auszulassen,
25 befahl Mose den Leviten, die die Lade des Bundes des HERRN trugen:
26 Nehmt diese Urkunde der Weisung entgegen und legt sie neben die Lade des Bundes des HERRN, eures Gottes! Dort diene sie als Zeuge gegen dich.
27 Denn ich kenne deine Widersetzlichkeit und deine Hartnäckigkeit. Seht, schon jetzt, wo ich noch unter euch lebe, habt ihr euch dem HERRN widersetzt. Was wird erst nach meinem Tod geschehen?
28 Versammelt um mich alle Ältesten eurer Stämme und alle eure Listenführer, damit ich ihnen diesen Text vortragen und Himmel und Erde gegen sie als Zeugen anrufen kann!
29 Denn ich weiß: Nach meinem Tod werdet ihr ins Verderben laufen und von dem Weg abweichen, auf den ich euch verpflichtet habe. Dann, in künftigen Tagen, wird euch die Not begegnen, weil ihr tut, was in den Augen des HERRN böse ist, und weil ihr ihn durch euer Machwerk erzürnt.
30 Und Mose trug der vollzähligen Versammlung Israels den Wortlaut dieses Liedes vor, ohne irgendetwas auszulassen.
In dieser Perikope ist im Prinzip begründet, was der Apostel Paulus nicht müde wurde auszuführen:
Röm 2,12:
„die unter dem Gesetz sündigten, werden durch das Gesetz gerichtet werden“
Röm 3,20:
„Denn aus Werken des Gesetzes wird niemand vor ihm gerecht werden; denn durch das Gesetz kommt es nur zur Erkenntnis der Sünde.“
oder passend zur Lesung aus Gen 22  in Röm 4,13-16:
Denn Abraham und seine Nachkommen erhielten nicht aufgrund des Gesetzes die Verheißung, Erben der Welt zu sein, sondern aufgrund der Glaubensgerechtigkeit. Wenn nämlich jene Erben sind, die aus dem Gesetz leben, dann ist der Glaube entleert und die Verheißung außer Kraft gesetzt. Denn das Gesetz bewirkt Zorn; wo aber kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung. Deshalb gilt: aus Glauben, damit auch gilt: aus Gnade. Nur so bleibt die Verheißung für die ganze Nachkommenschaft gültig, nicht nur für die, welche aus dem Gesetz, sondern auch für die, welche aus dem Glauben Abrahams leben. Er ist unser aller Vater.
Oder in den wohlbekannten Worten des Johannes-Prologs Joh 1,16f.:
Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus.
Nach der Lesung folgt als Tractus der Beginn des Liedes aus Deut 32:
1 Hört zu, ihr Himmel, ich will reden, die Erde lausche meinen Worten.
2 Meine Lehre wird strömen wie Regen, meine Botschaft wird fallen wie Tau, wie Regentropfen auf das Gras und wie Tauperlen auf die Pflanzen.
3 Ich will den Namen des HERRN verkünden. Preist die Größe unseres Gottes!
4 Er heißt: Der Fels. Vollkommen ist, was er tut; denn alle seine Wege sind recht. Er ist ein unbeirrbar treuer Gott, er ist gerecht und gerade.
Die „Geradeheit“ der Gebote Gottes wurde der Verdrehtheit des menschlichen Willens, der durch den Gehorsam (letztendlich den Gehorsam Jesu in der Passion, vorgebildet in dem Gehorsam Abrahams) gebrochen werden muss, bereits entgegengesetzt, wie es denn auch gleich in Deut 32,5 weitergeht:
Ein falsches, verdrehtes Geschlecht fiel von ihm ab, Verkrüppelte, die nicht mehr seine Söhne sind.
Wie antwortet die betende Kirche?

Oratio der Osternacht
Deus, celsitudo humilium et fortitudo rectorum, qui per sanctum Moysen puerum tuum ita erudire populum tuum sacri carminis tui decantatione voluisti, ut illa legis iteratio fieret etiam nostra directio: excita in omnem iustificatarum gentium plenitudinem potentiam tuam, et da laetitiam, mitigando terrorem; ut omnium peccatis tua remissione deletis, quod denuntiatum est in ultionem, transeat in salutem
Gott, du Hoheit der Niedrigen und Stärke der Geraden, der du durch deinen heiligen Diener Mose dein Volk durch die Absingung deines heiligen Liedes so lehren wolltest, dass jene Wiederholung des Gesetzes auch unsere gerade Ausrichtung werde: erwecke deine Macht über die ganze Fülle der gerechtfertigten Völker und gib Freude durch Milderung des Schrecken; damit, nachdem die Sünden aller durch deine Verzeihung getilgt sind, das, was als Strafgericht angekündigt wurde, sich in Heil verwandle.
und sehr ähnlich

Oratio der Pfingstnacht
Deus, glorificatio fidelium, et vita iustorum, qui per Moysen famulum tuum nos quoque modulatione sacri carminis erudisti: universis gentibus misericordiae tuae munus operare, tribuendo beatitudinem, auferendo terrorem; ut, quod pronuntiatum est ad supplicium, in remedium transferatur aeternum
Gott, Verherrlichung der Gläubigen und Leben der Gerechten, der du durch deinen Helfer Moses auch uns durch die Melodie des heiligen Liedes gelehrt hast: wirke sämtlichen Völkern die Gnade deiner Barmherzigkeit, indem du Seligkeit schenkst und Schrecken wegnimmst; damit was als demütigendes Strafgericht angekündigt war zum ewigen Heilmittel umgewandelt werde.
Es wird also der Unterschied zwischen Gesetz (Nachweis der Sünde in Moses Lied) und Gnade (Vergebung der Sünden) herausgestellt, wie z.B. auch in Apg 13, 37-40:
37 Der, den Gott auferweckte, hat die Verwesung nicht gesehen.
38 Ihr sollt also wissen, meine Brüder: Durch diesen wird euch die Vergebung der Sünden verkündet und in allem, worin euch das Gesetz des Mose nicht gerecht machen konnte,
39 wird jeder, der glaubt, durch ihn gerecht gemacht.
40 Gebt also Acht, dass nicht eintrifft, was bei den Propheten gesagt ist
Den Unterschied zwischen Strafgericht/Schrecken – Heil wurde schon bei der Betrachtung der Feuerweihe gemacht, als zitiert wurde:
Denn bei dem Tode Jesu erlosch, oder wurde beendiget das alte Gesetz, das Gesetz der Furcht; bei der Auferstehung aber begann das neue Gesetz, welches ein Gesetz der Liebe ist, die Herzen der Gläubigen entzündend mit dem neuen Feuer der Liebe, das aus Christus strömt.

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