Freitag, 19. April 2019

Schnee auf dem Kreuzweg

Für die Osternacht in der gegenwärtigen Form sind zwei Lesungen aus dem Propheten Jesaja vorgesehen; die aus dem 55. Kapitel gab es auch schon im Tridentinischen Missale, dort allerdings schon mit dem letzten Vers von Kapitel 54 beginnend.
Der Text nach der EÜ2016 lautet:
Jes 54,17: Keine Waffe wird etwas ausrichten, die man gegen dich schmiedet; jede Zunge, die dich vor Gericht verklagt, wirst du schuldig sprechen. Das ist das Erbteil der Knechte des HERRN: Von mir kommt ihre Gerechtigkeit - Spruch des HERRN.
Jes 55,1 Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser! Die ihr kein Geld habt, kommt, kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld und ohne Bezahlung Wein und Milch!
2 Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt, und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht? Hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen und könnt euch laben an fetten Speisen!
3 Neigt euer Ohr und kommt zu mir, hört und ihr werdet aufleben! Ich schließe mit euch einen ewigen Bund: Die Erweise der Huld für David sind beständig.
4 Siehe, ich habe ihn zum Zeugen für die Völker gemacht, zum Fürsten und Gebieter der Nationen.
5 Siehe, eine Nation, die du nicht kennst, wirst du rufen und eine Nation, die dich nicht kannte, eilt zu dir, um des HERRN, deines Gottes, des Heiligen Israels willen, weil er dich herrlich gemacht hat.
6 Sucht den HERRN, er lässt sich finden, ruft ihn an, er ist nah!
7 Der Frevler soll seinen Weg verlassen, der Übeltäter seine Pläne. Er kehre um zum HERRN, damit er Erbarmen hat mit ihm, und zu unserem Gott; denn er ist groß im Verzeihen.
8 Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege - Spruch des HERRN.
9 So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.
10 Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen,
11 so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.
Zunächst irritierend ist der Wechsel zwischen Prophetenrede und Gottesrede. (Eine Handreichung des Bibelwerks schlägt vor, die Lesung von zwei Lektoren vortragen zu lassen und zuvor zu erläutern, das einer den Propheten und der andere Gottessprüche vorträgt - *Grusel*)

Die Lesung scheint sich direkt mit dem Ärgernis des Kreuzes zu beschäftigen, was weniger deutlich wird, seit der erste Vers (54,17, darin: „jede Zunge, die dich vor Gericht verklagt, wirst du schuldig sprechen“) weggelassen wird, denn der sagt gerade aus: obwohl man gegen dich kämpft und klagt, wird der Ankläger selbst verurteilt, denn „das ist das Erbteil der Knechte des HERRN: Von mir [dem Herrn] kommt ihre Gerechtigkeit“, und der Richter ist der vormals Angeklagte selbst. Wie würde man in weniger Worten das Ergebnis von Kreuz und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus beschreiben?!

Die ersten Verse von Kapitel 55 führen im Grunde aus, was in Deut 8,3 gesagt ist:
Durch Hunger hat er dich gefügig gemacht und hat dich dann mit dem Manna gespeist, das du nicht kanntest und das auch deine Väter nicht kannten.
Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des HERRN spricht.“
Das Wesentliche sind nicht weltliche Güter, die der Mensch sich erarbeiten kann, sondern die himmlischen, die er von Gott geschenkt bekommt, wenn er auf ihn hören will. (Hier klingt auch wieder das Thema von selbsterarbeiteter Gerechtigkeit gegen Rechtfertigung aus Gnade an, wie gehabt.)
[Und durch die Anspielung auf dieses Zitat wird das "nicht kennen" von Vers 5 vorbereitet.]

Der Bund des Herrn mit David, dass sein Nachkomme auf seinem Thron sitzen wird (oder in den Worten des Psalms 89:
4 Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Erwählten und David, meinem Knecht, geschworen:
5 Auf ewig gebe ich deinem Haus festen Bestand und von Geschlecht zu Geschlecht gründe ich deinen Thron.)
ist beständig: Jesus, der Nachkomme Davids, gekreuzigt und auferstanden, herrscht.

Es ist unklar, wer in Vers 4 der „Zeuge und Herrscher der Völkerschaften“ ist: David oder doch eher der Nachkomme. Vers 5 klärt: "Fremde Völker eilen zu dir, weil Gott dich verherrlicht hat." Und verherrlicht ist der Auferstandene. Bezüglich der fremden Völker hatte der Herr selbst angekündigt: "Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen". (Joh 12,32)

Verse 6-7 sind eine direkte Folge der Erlösung: es ist ein neues Chancen-Fenster (window of opportunity, wie wir neudeutsch sagen) geschaffen, uns mit dem Herrn versöhnen zu lassen. (Erkennt man besser in einer originalnäheren Übersetzung: 6 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist.) Wobei die zeitliche Begrenzung wohl nicht im Herrn liegt, sondern in unserer Sterblichkeit …

Der letzte Abschnitt (Verse 8-11) erläutert das Skandalon des Kreuzes, dass den Jüngern in Folge des Karfreitags so viel Kopfzerbrechen bereitete, das auch das leere Grab nur schlimmer machen konnte. Den Tod als Weg zum Leben zu begreifen bedarf durchaus des Beistandes des Heiligen Geistes, obwohl schon hier Jesaja sagt: „eure Wege sind nicht meine Wege“, und gegen das scheinbare Versagen Jesu in der Sinnlosigkeit des Kreuzes: "Mein Wort erreicht, wozu ich es ausgesandt habe".

Die Oratio von 1570 nimmt das Osterthema des durch die Taufe erweiterten Gottesvolkes anlässlich des Verses „eine Nation, die dich nicht kannte, eilt zu dir“ auf, und bestätigt die Erfüllung der Verheißungen Gottes in seinem Sohn.

Die Kirche betet:
Omnipotens sempiterne Deus, multiplica in honorem nominis tui, quod patrum fidei spopondisti: et promissionis filios sacra adoptione dilata; ut, quod priores sancti non dubitaverunt futurum, Ecclesia tua magna iam ex parte cognoscat impletum
Allmächtiger ewiger Gott, vermehre zur Ehre deines Namens, was du dem Glauben der Väter versprochen hat, und erweitere die Söhne der Verheißung durch die heilige Anwahl*, damit deine Kirche erkenne, dass das, was die früheren Heiligen geschehen zu werden nicht bezweifelt haben, zum großen Teil schon erfüllt ist.
[*Anwahl ist jetzt ein Stück-für-Stück Neologismus für Ad-option oder Annahme an Kindes Statt]

Die im Messbuch von 2002 nach dieser Lesung vorgesehene Oratio war 1570 nach der 12. Lesung aus Dan 3, 1-24 vorgesehen, wird also kaum spezifisch für den Jesaja-Text sein:
Omnípotens sempitérne Deus, spes única mundi, qui prophetárum tuórum præcónio præséntium témporum declarásti mystéria, auge pópuli tui vota placátus, quia in nullo fidélium nisi ex tua inspiratióne provéniunt quarúmlibet increménta virtútum.
Allmächtiger, ewiger Gott, einzige Hoffnung der Welt, der du durch die Verkündigung deiner Propheten die Geheimnisse der gegenwärtigen Zeiten erklärt hast, fördere versöhnt deines Volkes Gebete, da in keinem der Gläubigen, wenn nicht aus deiner Eingebung, Zuwächse irgendwelcher Tugenden entstehen

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