Fortsetzung von hier
Kyrie und Gloria
„Als die Zeit der Erfüllung und der Gnade herbeigekommen war, wie der Psalmist vorherverkündigt hatte: ‚Du wirst aufstehen und Dich Sions erbarmen, weil die Zeit, seiner sich zu erbarmen, gekommen ist,’* fügt der Gesang des Chores zweckmäßig bei: Kyrie eleison, was verdolmetscht wird: Herr, erbarme Dich unser. Darum der Prophet sagt: ‚Herr, erbarme Dich unser, denn Deiner harren wir.’** Dies wird neun Mal gesagt, wegen der neun Arten Sünden. Es gibt nämlich eine ursprüngliche, eine läßliche und eine tötliche Sünde, d.h. die Schlange, das Weib und der Mann. Die Schlange – die Begierde, welche ursprünglich eingibt; das Weib – die Lust, welche verzeihlicherweise ißt; der Mann – die Vernunft, welche todeswürdigerweise zustimmt. Dann gibt es Sünden des Gedankens, der Rede, der Tat; des Gedankens – im Herzen, der Rede – im Munde, der Tat – durch das Vollführen, d.h. der Tod im Hause, der Tod in der Öffentlichkeit, der Tod im Grab. Abermals gibt es Sünden der Gebrechlichkeit, der Einfalt, der Bosheit. Der Gebrechlichkeit – durch Kraftlosigkeit, der Einfalt – durch Unwissenheit, der Bosheit – durch Absicht. Somit gibt es eine Sünde gegen der Vater, eine Sünde gegen den Sohn, eine Sünde gegen den heiligen Geist. Darum erwiedert der Chor, auf den Vater sich beziehend, drei Mal: Kyrie eleison; drei Mal, auf den Sohn sich beziehend, Christe eleison; und drei Mal, auf den heiligen Geist sich beziehend, Kyrie eleison; auf den Vater und den heiligen Geist aber mit ebendemselben Wort, weil der Vater und der heilige Geist nur e i n e r Natur sind; auf den Sohn aber antwortet er mit einem anderen Ausdruck, weil der Sohn, obwohl gleicher Natur mit Jenen, dazu noch anderer Natur, gleichsam ein Riese zweier Bestandteile ist. – Der heilige Gregor machte die Verordnung, dass bei der Messe das Kyrie eleison von dem Klerus gesungen werde, was bei den Griechen durch das gesamte Volk geschieht.“
* Ps 102, 14
** Jes 33, 2
„Es folgt hierauf der Lobgesang der Engel*, von der Geburt Christi in der Zeit Zeugnis geben, den Jener anhebt, der den Engel des großen Ratschlusses** darstellt. Der Chor aber setzt ihn, zusammensingend, fort, weil alsbald in den Gesang des Engels die Menge der himmlischen Heerscharen, Gott lobpreisend, einstimmte und sang: ‚Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen guten Willens.’*** Dieser Hymnus ist nicht nur ein Lobgesang der Engel, sondern auch der zum Dank einstimmenden Menschen dafür, dass jenes Weib, das den Groschen verloren hatte, die Leuchte ansteckte, um das Verlorene wieder zu finden; und der Hirte, welche neunundneunzig Schafe in der Wüste gelassen, gekommen war, um das Hundertste, welches er verloren, wieder zu suchen.**** Vor Christi Geburt gab es dreierlei Scheidewände: die erste zwischen Gott und den Menschen; die zweite zwischen den Engeln und den Menschen; die dritte zwischen Menschen und Menschen. Der Mensch hatte nämlich durch Sünde Gott beleidigt, durch seinen Fall die Wiederherstellung der Engel gehindert, durch abweichende Gebräuche von seinesgleichen sich geschieden. Der Jude beobachtete die Zeremonien, der Heide übte Götzendienst, der Brauch des einen mißfiel dem andern. ‚Es kam aber der wahre Friede und machte aus beiden eins,’ *5 zerstörte den Moder der Feindschaft und einigte die einander trennenden Wände auf dem Eckstein, dass in Zukunft nur ein Hirte und eine Herde wäre*6. ‚Er nahm also die Sünde hinweg und versöhnte den Menschen mit Gott.’*7 Er machte den Abfall wieder gut und versöhnte den Menschen mit Gott und dem Engel. Er zerstörte den verschiedenartigen Brauch und vereinigte den Menschen mit dem Menschen. ‚Er stellte daher,’ dem Apostel zufolge, ‚her, was im Himmel und was auf Erde ist.’*8 Und deswegen sang die Menge der himmlischen Heerscharen: ‚Ehre sei in der Höhe’, d.i. den Engeln und Gott, ‚und auf Erde Friede’ unter den Juden und Heiden, ‚die guten Willens sind.’ Davon spricht auch der Engel, und stimmt ein in die Freude der Hirten, weil der Friede zwischen den Engeln und den Menschen hergestellt ist. Gott ward Mensch geboren, weil der Friede zwischen Gott und dem Menschen hergestellt ist. Er ward geboren in der Krippe zwischen Ochse und Esel, weil der Friede zwischen den Menschen hergestellt ist. Durch den Ochsen wird das Volk der Juden, durch den Esel das Volk der Heiden vorgebildet, nach jenem Wort: ‚Der Ochse kennt seinen Meister und der Esel die Krippe seines Herrn.’*9
Papst Symmachus [†514] verordnete, dass sowohl am Sonntag als den Jahrestagen der Blutzeugen das ‚Ehre sei in der Höhe’ bei der Messe gesungen werde, welchen Lobgesang Telesphorus [†139], der neunte Papst von den heiligen Petrus an, bei der nächtlichen Messe der Weihnacht (die er ebenfalls einführte) zu singen befohlen hat. In demselben fügte er dasjenige bei, was dem Lobgesang der Engel folgte. Indess behaupten viele, der heilige Hilarius von Poitou [†1162] habe es beigefügt.“
* s. hier
** „Christus selbst wird Engel des großen Ratschlusses genannt, da er uns meldete, was er vom Vater gehört.“ Dionysius Aeropagita
*** Lk 2, 14
**** Lk 15, 8.4
*5 Eph 2, 14
*6 Joh 10, 16
*7 inhaltlich entsprechend: 2 Kor 5, 19
*8 Eph 1, 10?
*9 Jes 1, 3
„Um daher den Jubel beider Völker [Juden und Heiden], die der Geburt Christi sich freuten, zu bezeichnen, werden an die Seiten des Altares, das Kreuz in der Mitte, zwei Leuchter mit brennenden Kerzen gestellt. Denn der Engel sagte zu den Hirten: ‚Ich kündige euch eine große Freude an, die allem Volk kund werden soll, denn es ist euch der Heiland geboren.’* Das Licht des Leuchters aber ist der Glaube des Volkes; denn zu dem jüdischen Volk spricht der Prophet: ‚Erhebe dich, mache Licht Jerusalem! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn ist aufgegangen über dir.’** Und zu dem Heidenvolk sagt der Apostel: ‚Einst wart ihr Finsternis, nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn.’*** Denn bei der Geburt Christi ging auch den Magern [sic] der neue Stern auf, wie jene Weissagung Balaams sagt: ‚Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und eine Rute aus Israel aufschießen.’**** Zwischen zwei Lichter wird auf dem Altar das Kreuz gestellt, weil in der Kirche Christus der Mittler zwischen zwei Völkern ist, der Eckstein, der aus beiden eins machte, zu welchem die Hirten aus Judäa und die Mager vom Morgenlande kamen.“
* Lk 2, 10f.
** Jes 60, 1
*** Eph 5, 8
**** Num 24, 17
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