Die Begriffsverwirrung, die als Orwellsches Neusprech
(Sprache, die aus politischen Gründen künstlich modifiziert wurde) noch eine
Warnung und als „Definitionsmacht“ in den zu meiner Jugendzeit verbreiteten Schriften
der Bundeszentrale für Politische Bildung ein Prinzip politischer Beeinflussung
war, ist inzwischen ein (durch den einzelnen Nutzer möglicherweise
unreflektiertes) Gemeingut geworden und hat als „neue Barmherzigkeit“ sogar bei
unserer Heiligen Mutter Kirche Einzug gehalten.
Konkret
wünscht anlässlich des Ethikratsvorschlags zur Aufhebung des Inzestverbots die
„Vorsitzende, Christiane Woopen, Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität Köln, eine gläubige Katholikin“, dass „etwas so Wunderschönes und Wertvolles wie die aufrichtige Liebe zwischen zwei Menschen, die keinen anderen Menschen tiefgreifend schädigt, in unserer Gesellschaft lebbar sein möge“.
Diesem hehren Wunsche beizupflichten wäre ich geneigt, wenn
er nicht den kleinen Makel aufwiese, dass „Liebe“ gesagt und „Beischlaf
zwischen Geschwistern“ gemeint ist.
In der Begründung des Vorschlags werden mehre sachliche Fehler aufgezeigt,
von denen ein weiterer hier einschlägig ist:
Das "Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung" sei in diesen Fällen höher zu gewichten als das "abstrakte Schutzgut der Familie".
In meiner Erinnerung ist „sexuelle Selbstbestimmung“ das
Recht, nicht gegen seinen Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen zu werden.
Das haben natürlich auch ganz besonders Geschwister untereinander.
Im Neusprech scheint es sich eher ein postuliertes Recht zu
handeln, sein Gemächt in alles einzuführen, was irgendwie wie eine Vertiefung
aussieht bzw. ihr Gemächt mit allem zu füllen, was eine längliche Ausdehnung
aufweist. Klingt sinnfrei, wird aber so vertreten.
Seltsam ist, dass Liebe und Geschlechtsverkehr miteinander
gleichgesetzt werden, obwohl die Voraussetzung, dass beides zusammenfällt
(nämlich die auf lebenslange Treue angelegte Verbindung von Mann und Frau), oft
gar nicht mehr vorliegt – man also in der Lage sein sollte, eine Unterscheidung
der Begriffe zu treffen –, während für die Neusprech-Version von „sexueller
Selbstbestimmung“ eine „praktische Unterscheidung zwischen den sexuellen
Gewohnheiten und den biologischen Folgen“ [gemeint ist die Geburt eines Kindes]
eingeführt wird, die durch Verhütung und Abtreibung erreicht werde (für ganz
Harte: hier gucken).
Diese Sichtweise macht sich auch der Ethikrat zu eigen:
„Und das genetische Risiko solcher Verbindungen [zwischen Geschwistern] unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem, das von Erbkrankheiten belastete Paare zu tragen haben. Die pränatale Diagnostik kann hier gegebenenfalls die nötige Entscheidungshilfe liefern.“
Auf Deutsch: Geschwister können ruhig miteinander schlafen,
denn das „Problem“ (ein mit hoher Wahrscheinlichkeit behindertes Kind) lässt
sich ja durch Abtreibung „lösen“.
Ich bin üblicherweise nicht um Worte verlegen, hier aber
müsste man davon so viele gebrauchen, um die verqueren Vorstellungen, die den
Ethikrat zu seinen Voten befähigen, auch nur zu benennen, dass ich nicht sicher
bin, ob meine Tastatur so lange hält. Am Ende liefe wohl manches wieder auf
eine Variation des Themas „Begriffsverwirrung“ hinaus.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich die meisten
erregten Diskussionen in Nichts auflösten, wenn sich jemand fände, der die
Beteiligten mit einem tauglichen Wörterbuch beglücken wollte.
Die Ausnahme bildet möglicherweise eine erheblichere
Schwierigkeit, die sich hinter der Floskel "abstraktes Schutzgut der
Familie" verbirgt. Der Begriff Familie scheint im Neusprech nicht mit
etwas verbunden zu sein, das einen seelischen Widerhall fände. Für den
tragischen Einzelfall des sächsischen Paares, der den Hintergrund des
Ethikrat-Votums abgab, bietet sich „Nachsicht in konkreten Situationen, die der
Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte“ (aristotelisch: Epikie)
als Ausweg an. Aber wie man den Mitgliedern des Ethikrates das vermitteln soll,
wovon eine Erfahrung anscheinend nicht vorhanden ist, muss an dieser Stelle
offen bleiben. Vielleicht würde mehr erlebte Liebe (im alten Sinne) in einer
Familie, die diesen Namen verdient, manchen vor der Flucht in eine heillose
Geschlechtlichkeit bewahrt haben.
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